Trips & Träume
Karriereleiter weiterbrachte.
Das Rats war seit der Razzia geschlossen, und es stand in den Sternen, ob es jemals wieder öffnen würde. Kief hing zu tief drin, es hieß, mindestens zwei bis drei Jahre würde er bekommen. Toni und Erwin mussten mit Ähnlichem rechnen. Fetzer drohte wegen Beamtenbeleidigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt in Tateinheit mit Körperverletzung eine Anklage. Er hatte zwei Bullen die Nase gebrochen und sie als Schweine bezeichnet.
Auch Hördi sah ich nicht mehr. Er begegnete mir auch nicht in Tscharlies Kneipe, in die Teile der Szene ausgewichen waren. Es war ein Laden, in dem die Musik noch aus einer Jukebox kam, uralte Songs von Elvis, Herman’s Hermits und Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich. Eigentlich kein Ort für einen gestandenen Freak.
Die Musikszene brach auseinander. Don war längst in Berlin, es gab also niemanden mehr, der Auftritte organisierte.
Fra Mauro lösten sich auf, Reed Isberg war nach Andis Verschwinden auf dem IJsselmeer längst in sein Westerwald-Kaff zurückgekehrt. Stiebel Eltron lösten sich auf, Storm lösten sich auf, Alpha Centaurus und Inri waren eh schon zu den Akten gelegt. Dreamlight probierten es – wie Gero es angedeutet hatte, mit Gerd, dem ehemaligen Storm-Schlagzeuger. Doch das hielt nicht lange, die Chemie stimmte nicht. Gero stellte die Farfisa zurück in Papas Wohnzimmer. Porno-Fischer verließ Waisel-Villwock und wechselte zu Woodman Gun, die nur im Proberaum rockten. Sonny, Moses und Skip stiegen bei Ed Geed ein. Als Coverband mit Stücken von Wishbone Ash, Frank Zappa und Bad Company sollten sie noch Jahre später auf Schulbällen und Partyabenden in der Stadthalle auftreten. Paul stieg um auf Bass und gründete mit den Überresten von Fra Mauro eine Jazzcombo, die sich Chain nannte. Tara Folk, Saitenspinner und Vox Juventutis spielten jetzt bei Kirchenfesten und auf Treffen der Katholischen Jugend im Pfarrzentrum.
Der Herbst verging, und der Winter kam mit Schnee. Das Casino in Montreux brannte während eines Konzerts von Frank Zappas Mothers nieder. Die Tage und Wochen verstrichen, ohne dass ich etwas von irgendwem hörte.
Komisch, ich hätte einfach nur in das Schreibwarengeschäft von Dons Vater zu gehen brauchen. Der Alte hätte mir bestimmt eine Telefonnummer gegeben. Ich verspürte aber nicht den geringsten Antrieb, dies zu tun. Warum noch mit Don oder Mark reden, es gab nichts mehr zu besprechen.
An dem Tag, als Willy Brandt den Friedensnobelpreis erhielt, ließ ich mich auf dem Hausboot blicken.
Werner, Hucky und Jule erzählten, dass die Schlagzeugaktion, also Marks Schießbude nach Berlin zu bringen, abgeblasen worden sei. Mark hätte angerufen und gemeint, sie sollten das Ding verscherbeln und sich von der Kohle einen Riegel Dope kaufen. Was sie dann auch taten.
Scheiße, dachte ich, eigentlich gehörte die Kohle mir. Doch ich sagte nichts. Während dieser ganzen Zeit kam es mir so vor, als sei die ganze Stadt nichts als ein einziges großes Wartezimmer. Ich hatte meine Zeit abzusitzen, bis ich dran war, bis der Termin zur Aufnahmeprüfung näherrückte.
Ich ging ins Kino, sah »A Clockwork Orange«. Das Buch von Anthony Burgess, das dem Film als Vorlage diente, gefiel mir besser. Besonders mochte ich die Phantasiesprache, in der sich Alex und seine Gang unterhielten. Und dass Musik als Stimulanz für Gewaltexzesse dienen könnte, faszinierte mich. Burgess’ Idee war gar nicht so weit hergeholt.
Die Freaks benutzten Musik, um auf eine neue Bewusstseinsstufe zu gelangen. Im Zusammenspiel mit Kiff und LSD konnte dies zu einem massiven Aggressionsstau führen, der sich in Form von Psychosen und Depressionen entlud. Hatte ich nicht selbst oft genug im zugedröhnten Zustand zu irgendeinem psychedelischen Sound stundenlang auf einen Fleck auf der Wand gestarrt und mich beschissen gefühlt? Mir fiel ein, wie Matti im Müsli mit Fäusten auf die Wand eingedroschen hatte.
Was war das anderes, als sich selbst seelische Gewalt anzutun? Ich schwor mir, vorerst von der Törnerei und Krautrock die Finger zu lassen.
Ich las viel, doch bei meinen heißgeliebten Existenzialisten fand ich keinen Trost. Dafür entdeckte ich Neues. Charles Bukowski, von dem auch etwas Komplettes in deutscher Übersetzung vorlag: »Aufzeichnungen eines Außenseiters«. Überhaupt waren es die Amerikaner. Ich verschlang Kerouac und Vonnegut.
Auch in der Musik trat bei mir eine Veränderung ein. Kraftwerk, Guru Guru, Embryo, Amon Düül und Popol Vuh
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