Trips & Träume
Arzt gehen«, sagte ich besorgt.
»Später«, antwortete er und verschwand in der Toilette.
Hördi zuckte mit den Schultern. »Seit der Nachricht von Andis Verschwinden ballert er sich nur noch zu. Er isst nicht und schläft nicht. Das ist seine Art, damit umzugehen.«
»Verstehe«, sagte ich. Etwas Besseres fiel mir nicht ein.
»Die Besten sterben jung«, sagte Hördi.
»Bitte?«
»Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison.«
Ich schaute ihn verdattert an.
»Dass Andi nicht mehr da ist, das wird die Szene nicht verkraften«, sagte Hördi.
»Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war. Einige haben es mit der Musik eh nicht so ernst gemeint. Die waren nur dabei, weil die anderen es auch gemacht haben.«
»Du meinst, es war nur eine Art Mode, ein kurzes Aufbäumen gegen die Langeweile, die Spießer, einfach weil es in ist, in einer Band zu spielen?«
»Genau, du hast es kapiert.«
»Du hast aber eine merkwürdige Art zu trauern«, sagte ich.
Er klopfte sich mit der Faust auf die Brust. »Mann, du hast keine Ahnung, wie es hier drinnen aussieht.«
An dieser Geste war nichts Pathetisches, es war die pure Hilflosigkeit. In seinen Augen erkannte ich sein Entsetzen darüber, dass Andi nicht mehr da war. Ja, was wusste ich schon? Hördi konnte mit seinen Gefühlen so umgehen, wie er es wollte oder konnte.
»Entschuldige«, sagte ich kleinlaut und ließ ihn mit seiner Trauer allein.
*
Die Knie bis unters Kinn gezogen, saß Karen auf der Bank in der Stammecke und zupfte Fusseln von ihrer Samthose.
Fusseln, die gar nicht da waren.
Don und Giulia blickten kurz auf, sagten aber nichts. Die Kerze auf dem Tisch flackerte.
Karen rückte zur Seite, um mir Platz zu machen. Ich rutschte auf die Bank.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich.
»Ich werde mir das nie verzeihen«, sagte sie. Es war an niemanden speziell gerichtet.
»Du hast keine Schuld an dem, was passiert ist.«
Giulia beugte sich vor. »Das sage ich ihr auch die ganze Zeit. Aber dann hält sie sich immer die Ohren zu.«
Karen hörte auf, Fusseln zu zupfen. »Aber es war doch alles meine Idee!«
»Es bringt nichts, dass du dich quälst. Davon kommt Andi nicht wieder«, sagte ich und sah sie an.
Tränen standen ihr in den Augen. »Wie kannst du so etwas sagen!«
»Bitte entschuldige. Aber ...«
»Was?«, unterbrach sie mich.
»Ich möchte, dass du dich nicht für Sachen fertig machst, die du nicht voraussehen konntest. Niemand konnte das«, sagte ich.
Don räusperte sich. »Wie ist das, bekommt er eigentlich eine Beerdigung?« Ich war ihm dankbar, dass er das Thema ansprach. Mich hatte diese Frage insgeheim auch schon beschäftigt. Außerdem fielen mir keine Argumente mehr ein, um Karen von ihren negativen Gedanken abzubringen.
Ihre Stimme überschlug sich. »Er ist noch nicht einmal für tot erklärt!«
»Wir müssen der Realität ins Auge sehen. Andi kommt nicht wieder, höchstwahrscheinlich ist er tot«, sagte ich vorsichtig.
Ihr Körper wurde von einem Zittern ergriffen, als wäre sie von einem Fieber befallen. Sie verbarg das Gesicht zwischen den Knien. Ich rückte näher an sie heran und legte den Arm um sie. Giulia tat von ihrer Seite aus das Gleiche.
Ich weiß nicht, wie lange wir so saßen. Minutenlang hielten wir die Arme um sie geschlungen. Keiner sagte etwas. Das Zittern ließ langsam nach. Irgendwann löste ich mich von Karen, Giulia reichte ihr ein Taschentuch.
Karens rote Augen schauten traurig in die Runde. Ich spürte die Niedergeschlagenheit und drückte mich tiefer in die Bank.
Don traute sich etwas zu sagen. »Was ist mit Christiania?«
Karen schniefte ins Taschentuch. »Ich fahre am Samstag. Mit dem Zug. Rike und Miti holen mich vom Bahnhof ab.«
»Was sagen deine Eltern?«, fragte ich.
»Die sind nicht begeistert. Aber wenn ich einfach so verschwinde, schicken sie mir die Polizei hinterher. Darum habe ich mit ihnen gesprochen. Sie lassen mich gehen.«
»Einfach so?«
»Mein Vater sagte, er gibt mir ein Jahr, wenn ich dann nichts auf die Beine gestellt habe, kommt er mich holen. Und ich muss für meinen Unterhalt selbst aufkommen. Von ihm gibt es keinen Pfennig. Mein Startkapital habe ich zum Glück selbst erwirtschaftet. Ich komme klar, in Christiania wird sich was ergeben, davon bin ich überzeugt.«
»Das war alles, das haben sie geschluckt?«
»Meine Mutter hat sich tierisch aufgeregt. Kind, dass du mir nicht unter die Räder kommst und all den Mist, den besorgte Mütter halt so reden. Ich soll
Weitere Kostenlose Bücher