Trips & Träume
gesamte Gemeinde aus der Kapelle folgte ihnen in Dreierreihen und in gebührendem Abstand. Es war beeindruckend mit all den Menschen. Der Kies knirschte unter ihren Schritten.
Daniel kam uns mit großen Schritten entgegen. Er winkte.
»William, ich würde das Tagebuch gern einmal lesen«, sagte ich.
Ein kleiner schwarzer Vogel gab ein kurzes Krächzen von sich, flog über unsere Köpfe hinweg, krächzte noch einmal, wie ein Bote, der unsere Rückkehr ankündigte, und war dann verschwunden.
William nickte. »Es ist im Auto. Sie hat nie verwunden, dass du dich all die Jahre nicht gemeldet hast.«
»Wer zurückschaut, sieht nicht, was vor ihm liegt. Das war meine Einstellung damals. Heute weiß ich, dass es falsch war«, antwortete ich.
William schwieg.
Mich beschäftigte noch immer diese eine Sache. »In ihrem Nachlass, da war wirklich kein Tonband?«
Er schüttelte den Kopf.
»Warum hat es über dreißig Jahre gedauert, bis Mark etwas aus dem Band gemacht hat?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Was hast du nun vor?«
»Ich werde Mark zur Rede stellen.«
»Danke.«
»Wofür?«
»Ich glaube, wenn ich mit ihm rede, rege ich mich nur wieder auf.«
In diesem Moment stand Daniel, Williams Ziehvater, vor uns. Er war außer Atem und machte ein besorgtes Gesicht. »Da bist du ja! Bitte beeil dich, wir wollen mit der Beisetzung beginnen.«
William machte eine Geste des Bedauerns. »Darf ich dir Satti vorstellen, einen alten Freund von Karen?«
Daniel reichte mir die Hand. »Wir haben uns nur ein einziges Mal gesehen und das vor vielen Jahren. Aber ich kann mir Gesichter gut merken.«
Vater und Sohn gingen vor. Ich eilte hinterher. Als wir den Trauerzug erreichten, schlossen sie sich dem Pfarrer und den Ministranten an.
Ich wartete einen Moment und mogelte mich in die Reihe, in der Mark und Don im Zug mitliefen. Stumm marschierte ich ein paar Meter neben ihnen her.
Wie lange würde es dauern, bis sich einer von uns traute, etwas zu sagen?
Eine Zeitlang passierte nichts.
Mark brach als Erster das Schweigen. »Ich habe gehört, du arbeitest als Journalist. Du hast also deinen Traum verwirklicht.«
»Und du, du bist reich, berühmt und sexy geworden«, antwortete ich.
Mark lächelte gequält. »Ich bin zufrieden, die Dinge laufen gut.«
Don schaltete sich ein. »Du lebst in Frankfurt, richtig? Ich hab dort oft zu tun. Wenn du magst, können wir uns mal treffen, zum Essen.«
Er reichte mir eine Visitenkarte.
»Media Industries, was ist das?«
»Ich besitze in Berlin ein Stadtmagazin, eine kleine Künstleragentur, eine Plattenfirma und ein Aufnahmestudio. Alles zusammen firmiert unter dem Namen Media Industries. Das Studio gehörte übrigens früher mal Fürst.«
»Was ist aus dem geworden?« »Er ist pleite gegangen, hatte aufs falsche Pferd gesetzt. Ende der siebziger Jahre begannen Punk und New Wave den Markt zu dominieren, und niemand interessierte sich mehr für sein Krautrockzeugs. Die Bands, die er unter Vertrag hatte, stritten sich mit ihm, es gab Prozesse. Tja, und dann hatte er keine Kohle mehr.«
Ich steckte die Karte in die Manteltasche. »Was macht er heute?«
»Ich weiß es nicht. Plötzlich war er verschwunden. Das war die Zeit, als ich anfing, mich auf eigene Füße zu stellen. Ich habe das Studio übernommen und mit den verbliebenen Künstlern eine Agentur gegründet. So fing alles an. Mit zwanzig Mitarbeitern ging es los, heute sind es hundertfünfzig.«
»Und du, Mark, lebst du auch in Berlin?«, fragte ich.
Er antwortete schnell. »Ich war ein paar Jahre in Hamburg. Doch nach der Wende, als die Plattenfirmen nach Berlin gekommen sind, bin ich wieder zurück.«
Es war an der Zeit, zum Angriff überzugehen.
»Deine Hitfabrik läuft ja wie geschmiert. Besonders dieser eine Song, den du gerade in den Charts hast und den sie dauernd im Radio spielen, der ist ja sehr erfolgreich. Nur schade, dass er nicht von dir ist«, sagte ich.
Mark blieb abrupt stehen. Ich bremste meinen Schritt. Don merkte, dass etwas nicht stimmte, und hielt ebenfalls inne. Wir traten zu Seite. Der Trauerzug marschierte vorbei. Einige Leute drehten sich nach uns um.
Mark ließ sich nichts anmerken, doch ich registrierte seine Anspannung.
»Was ist los?«, wollte Don wissen.
Mein Herz klopfte auf Hochtouren. »Mark hat Andis Song als seinen eigenen ausgegeben. Ich glaube, so etwas nennt man Diebstahl.«
Mark und Don schauten sich an, erwiderten aber nichts. Das nahm ich als Aufforderung, ihnen noch ein wenig mehr
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