Tristan
seinen Reisen, und zum Schluss auch von Ortie, diesem Mädchen, das in seiner Erinnerung verwachsen war mit der Felsenküste seines Landes. Nie würde er sie vergessen können. Die halbe Nacht saßen sie so auf der Kiste und Tristan erzählte. Er sprach zu ihr auch über alles andere: wie er entführt worden war, deshalb aber seinen Onkel fand und seitdem glücklich mit seinem Leben war, bis es zum Kampf gegen Morolt kam.
Hier wollte Isolde ihm nicht weiter zuhören. Sie stand wortlos auf, gab ihm aber vorher einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Nie zuvor war jemand so aufrichtig und offen zu ihr gewesen, und nie zuvor habe sie …, sie unterbrach sich …, jetzt müsse sie zurück …, sagte sie und verschwand.
Tristan sah noch, wie der Wind ihr helles Nachtkleid um ihren Körper wehen ließ. Dann war sie fort.
Der Sturm ~238~ Ein kleiner Hafen
Nach der Begegnung mit Isolde, die ihm so gänzlich anders erschien als bei den Begegnungen von Tantris und Isôt, stieg Tristan wieder hinunter zu seinem Schlafplatz. Er schlang die Decken dicht um seinen Körper, als könnte er dadurch seine Empfindungen besser bei sich behalten. Seine Gedanken wärmten ihn, und er schloss die Augen, um sich Isoldes Gesicht zu vergegenwärtigen. Er ahnte, dass er damit etwas Verbotenes tat, aber er konnte sich nicht dagegen wehren. Ihr Gesicht, ihre Augen, der Duft ihres Haars - er war immer noch betört davon, je weniger er es sich erlauben wollte, seine Erinnerung zu genießen, desto mehr wurde sie ihm zur Gegenwart. Der Schlaf wollte nicht kommen, er war zu aufgewühlt, sah Marke vor sich, einen Mann, den er verehrte und dem er jetzt eine Frau zuführte, die er verdient hatte. Aber zugleich fühlte er, dass er es selbst doch war, der Isolde … Schwindel ergriff ihn. Er durfte so nicht weiterdenken in diesen Schlussfolgerungen der Philosophen, denen die Liebe meist fern war. Nicht die Liebe an sich oder die Liebe selbst. Sondern das Verliebtsein, das Diffuse, der Übergang, die Brücke, über die man nur ein Mal im Leben geht, diese Brücke aus Wasser über einen reißenden Strom.
Weil Tristan den Rausch der Empfindungen nicht mehr ertragen konnte, wühlte er sich aus den Decken heraus und ging wieder an Deck. Dort stieß er auf den eruischen Bootsführer, der ihn, als wäre es ein Scherz, lachend dazu anhielt, sich gut festzuhalten. Ein anfa komme auf.
Ein Sturm? Tristan wollte nichts davon hören. In ihm selbst tobte der Sturm. Gewaltiger konnte er auch hier auf dem Meer nicht sein. Er verkroch sich wieder bei den Netzen, bis der Bootsführer vor ihm stand und ihn ins Schiffsinnere verwies. Der Wind war unberechenbar geworden, das Boot, längst ohne Segel, schwankte beträchtlich, und Tristan folgte gehorsam der Anweisung des Kapitäns. Nun lag er wieder in seiner Koje neben anderen Eruis, die er nicht kannte, zog sich die Decken über den Kopf, ihm war übel, er fühlte sich wie ausgesetzt und konnte nicht anders, als an Isolde zu denken. Er sah sie vor sich, sie kam auf ihn zu, kniete sich bei ihm nieder, aber er wagte nicht, sie zu umarmen, so gern er sie auch an sich ziehen wollte.
Das Empfinden dieser Selbstverweigerung, die ihn erboste, holte ihn aus dem Schlaf. Sofort spürte er, dass das Boot in Schieflage geraten war. Zusammen mit einigen der eruischen Fürsten, die ebenfalls erst erwacht waren, stürmte er über die Treppe an Deck. Es trieb ihn nur eine Sorge vorwärts: ob Isolde in Sicherheit war.
Das Schiff war riesigen Wellen ausgeliefert und schlingerte hin und her. Die eruischen Barone hatten sich und auch Isolde und Brangaene mit Tauen am Mast festgebunden, an der Reling und an allem, was versprach, Wind und Wellen standzuhalten. Tristan, kaum war er an Deck gelangt, wurde von einer Seite zur anderen geworfen. Gischt übersprühte ihn, er konnte kaum mehr etwas sehen. Gleichwohl stürmte er vor zum Ruder, bei dem der Kapitän halb betäubt lag, überspült von dem über das Boot schwappenden Wasser, und schrie ihn an: »In welche Richtung müssen wir? Wo ist die nächste Küste?«
»Steuerbord!«
Tristan riss das Ruder herum. Jetzt wurden sie vom Sturm in die Richtung gedrängt, in der das Unwetter sich austobte. Und wie es über sie hinwegbrauste und nach und nach an Heftigkeit verlor, der Himmel im Rücken sich langsam aufklärte und einige Sonnenstrahlen den beginnenden Tag ankündigten, so verging allmählich auch die Angst. Was blieb, war die Erschöpfung. Die Reisenden waren bleich im Gesicht,
Weitere Kostenlose Bücher