Tristan
er sie an. Elva erschrak, glitt auf den feuchten Stufen aus, verlor das Gleichgewicht und rutschte auf den Holmen nach unten. Als sie sich schließlich an einem Strick festhalten konnte, merkte sie, dass ihr alle Glieder schmerzten. Zugleich sah sie, wie Brangaene mit einem Glas in der Hand auf Isolde und Tristan mit sich überschlagender Stimme einredete, das sei ihr Leben und ihr Tod, ihr Anfang und ihr Ende! In vollem Zorn, in dem sie die Worte aussprach, warf sie das Glas auf den Boden, auf dem es zersplitterte.
Elvas Schuld ~239~ Brangaenes Geständnis
Elva hatte sich am Ende des Abstiegs in eine dunkle Ecke zurückgezogen, ihre Hände um die Beine gelegt und sich so klein wie möglich gemacht. Sie wollte nicht da sein, wo sie war, sie wollte nirgendwo sein. Als Brangaene zu reden begann, erregt, sich verhaspelnd, voller Wut, legte Elva ihre Hände über die Ohren. Sie sah, dass Brangaene mutwillig mit ihren bloßen Füßen in die Glasscherben auf dem Holzboden trat, sie sah das Blut, das aus den Wunden hervorsickerte. Tristan und Isolde flehten sie an, nicht weiter mit dem Martyrium fortzufahren. Die beiden glitten von dem Lager, auf dem sie gesessen waren, um Brangaene zu beruhigen. Tristan zog sich sein Hemd aus, um ihre Füße mit dem Stoff zu umwickeln.
Der kleine Raum war erfüllt von Brangaenes Gezeter und Gekreische, und Elva wusste, dass sie an allem schuld war. Aber sie konnte nicht erfassen, worin ihre Schuld bestand. Deshalb zog sie sich noch tiefer in ihr Versteck zurück und empfand noch mehr Scham, als Brangaene, Isolde und Tristan anfingen zu streiten.
»Dieses Fläschchen war für Marke und Isolde bestimmt!«, schrie Brangaene.
»Wie hätten wir das wissen sollen?«, sagte Isolde.
»Es war ein Liebestrank!« Brangaene war den Tränen nahe.
»Ein Liebestrank?« Tristan versuchte, die beiden Frauen zu beruhigen. Seine Stimme war unaufgeregt. Er fragte: »Was soll das sein: ein Liebestrank?«
Da verzweifelte Brangaene fast und verfiel in die formlose Anrede: »Ein Liebestrank? Kennst du denn Isolde, unsre Herrin, noch immer nicht genug?«, stöhnte sie. »Doch von nun an werdet ihr beide sie kennenlernen. Sie hat euch vergiftet, ja, euch, schaut euch nur an. Ihr werdet einander verfallen sein bis an euer Lebensende. Dank dieser dummen Magd - wo ist sie? Ich könnte sie erschlagen! - Habt ihr …« Brangaene konnte nicht mehr an sich halten, sie brach in Tränen aus. Ihr Schluchzen war so heftig, dass ihr Körper davon erschüttert wurde und Elva schon vor lauter Mitleid aus ihrem Versteck hervorkriechen wollte. Isolde beugte sich über Brangaene und flüsterte ihr zu: »Was ist es denn, was du mir sagen willst?«
»Was ich Euch sagen will?« Brangaenes Worte waren von ihrem Schluchzen verzerrt. »Was ich Euch sagen will, ist, dass Ihr von nun an etwas erleben werdet, was sich ein jeder ersehnt und niemand ertragen kann, es ist - nein ich kann nicht«, stammelte sie, »ich kann es Euch nicht sagen«, sie schluchzte wieder auf, »Ihr werdet es am eignen Leib erfahren«, sagte sie mit leiser werdender Stimme - »das, was es nicht gibt!«
»Bei Mutter Erde, der allmächtigen Sonne, bei Jesus - so sag mir doch endlich, was es ist, was wir haben und was es nicht gibt! Ist es eine Krankheit?« Flehentlicher konnte Isolde nicht sprechen. Sie war vor Brangaene niedergekniet, hatte die Zipfel ihres Rocks an ihr Gesicht gedrückt.
»Es ist schlimmer! Die ewige Liebe, die immerfort … bis an Euer Ende währende Verliebtheit ineinander, das ist das Verhängnis, an dem Ihr sterben werdet!«
Isolde erschrak. Sie erbebte vor Glück, sah Tristan an, dem Tränen die Wangen hinunterliefen, blickte Brangaene an, die ihr Gesicht abgewendet hatte und leise in sich hineinklagte. Schließlich richtete sie ihren Blick in die Ecke, in der die Magd kauerte und am ganzen Körper zitterte. »Elva«, sagte Isolde behutsam, »komm aus der Ecke heraus. Wir tun dir nichts. Du kannst nichts dafür, hast nichts getan, was wir nicht gewollt hätten!«
Im selben Moment schrie Brangaene auf: »Wo ist sie? Weg mit ihr! Ich werfe sie ins Meer und schlage sie vorher tot!«
»Gar nichts wirst du tun!«, sagte Isolde plötzlich völlig beherrscht. »Wenn hier jemand Entscheidungen trifft, dann bin ich es, deine zukünftige Königin!« Sie bückte sich und kroch zu Elva hin, nahm ihre Hand und zog die völlig verstörte Magd aus ihrem Versteck hervor. »Geh nach oben an Deck«, sagte sie leise, »lass dir etwas zu
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