Tristan
hatte. Während ihr das auffiel, schlichen über die Tischplatte Isoldes und Tristans Hände wie zwei Spinnen aufeinander zu. Da nahm Brangaene eines der Öllämpchen und stellte es zwischen die beiden.
»Hört mir zu«, sagte sie dabei zu Tristan und Isolde in flüsterndem Ton, »ich weiß alles. Ihr habt euch vereint letzte Nacht. Und du«, fuhr sie Isolde wie eine Verbündete an, »bist nicht mehr unbefleckt. Euer Bettlaken habe ich« - Brangaene stockte, weil sie dabei an Elva denken musste - »heute Morgen ins Meer geworfen. Gleichwohl« - jetzt traten ihr Tränen in die Augen - »ihr wisst nicht, was ihr getan habt. - Marke will dich unbefleckt, und er hat ein Recht darauf. Oder er lässt dir den Kopf abschlagen. Und dir ebenso!«, wandte sie sich an Tristan.
Es entstand ein lähmendes Schweigen. Keiner von den Leuten aus den umliegenden Hütten befand sich mehr im Raum. Die Irländer waren längst wieder an Bord des Schiffes gegangen. Isolde und Tristan schauten sich um, dann sahen sie sich an. Daran hatten sie wahrlich nicht gedacht, denn sie hatten gar nicht gedacht.
»Was sollen wir bloß tun?« Tristan war der Erste, der seine Worte wiederfand.
»Wir sind verloren«, sagte Isolde nach einer Weile des Schweigens.
»Da kommt das Ferkelchen!«, ertönte die Stimme des Wirts. Er stellte eine irdene Platte auf den Tisch, gefüllt mit Fleisch und Kraut, Hirse und einem Mus aus Rüben.
»Wir sind verloren«, sagte Isolde noch einmal, jeglicher Hunger war ihr vergangen.
»Seid ihr nicht«, flüsterte Brangaene.
Der Plan ~242~ Die Ankunft
Ich werde in der Brautnacht Isolde sein«, sagte Brangaene und wandte sich an Tristan. »Und wenn ich danach nicht mehr Isolde bin, wird sie sie selbst sein und mit sich geschehen lassen, was geschehen muss. Niemand darf etwas davon wissen, auch dein Lehrer und Vertrauter nicht. Sogar du wirst dabei sein. Wenn dies alles in der ersten Nacht geschieht, wirst du dich still verhalten und uns deinen Rat geben. Denn wir kennen Marke nicht, aber er kennt auch Isolde und mich nicht. Unser Haar ist etwa gleich lang. Ich werde vermeiden, dass seine Hände in der Dunkelheit mein Gesicht berühren, sie sollen nur an meinem Körper sein. Ich habe keine Narben oder Male und Isolde auch nicht. - Das ist mein Plan. Ich denke, es gibt keinen zweiten.«
Tristan starrte vor sich hin. Je entschiedener die Zofe sprach, je mehr sie sich in Einzelheiten verlor, umso stärker verwandelten sich ihre Worte zu einem bittren Geschmack in seinem Mund. Neid und Eifersucht stiegen in ihm auf. Jetzt erst begriff er, dass Isolde nicht ihm gehörte, sondern seinem Onkel.
Tristan stand auf, so schnell und behände, dass die Frauen erschraken.
»Wo willst du hin?«, fragte Isolde ängstlich.
»Nach draußen, ich ersticke hier!«
Tristan verließ den Raum, die beiden Frauen blieben allein am Tisch.
»Was denkst du über diesen Plan?«, fragte Brangaene ihre Herrin, die sie längst als Verbündete und Freundin betrachtete, beinahe als Schwester.
»Ich wüsste keine andere Lösung«, sagte Isolde mit zitternder Stimme. »Aber ich habe die Bitte, dass ich mit ihm heute Nacht allein sein kann.«
Brangaene nickte und blickte dabei vor sich hin. »Ich werde im Stall schlafen«, sagte sie. »Ist eh überall nur Stroh und Heu unterm Kopf, sobald es dunkel wird.« Sie seufzte.
Isolde umarmte ihre Zofe. Sie sah die Zukunft nicht, nur den nächsten Augenblick, und machte sich bereits Sorgen um Tristan, dass er irgendetwas hätte falsch verstanden haben können. An das Opfer, das ihr die Zofe bringen würde, dachte sie in keinem Moment. Dass Brangaene durch ihre Tat von der bevorstehenden Hochzeitsnacht an ein entehrtes Weib wäre, kam ihr gar nicht in den Sinn. »Ich muss Tristan suchen«, sagte sie freudig. »Ich muss ihm sagen, dass wir allein sein werden, ein Geschenk des Himmels, dein Geschenk! Ich werde es dir nie vergessen und dir immer dafür dankbar sein.« Sie stand auf und eilte aus dem Raum.
Bis auf den Wirt und seine Frau, die beim Kessel saßen, sich am Feuer wärmten und kein Wort von dem eruischen Gerede verstanden hatten, war Brangaene nun allein in dem niedrigen Raum. Sie schickte den Wirt, ihr noch einen Becher von dem furchtbar sauren Fruchtwein zu bringen, und stützte den Kopf in ihre Hände. Was hatte sie nur getan? Was würde ihr Vater zu alldem einmal sagen, wenn sie ihn wiederträfe. Wenn sie nur kein Kind von diesem Marke bekäme, ganz gleich ob er König war oder nicht. Wer
Weitere Kostenlose Bücher