Tristan
zwischen den beiden Königreichen lagen in einer neuen Fassung vor, er musste sie sämtlich unterzeichnen, und das schmerzte ihn am allermeisten. Tribute, die ihm bislang zum Vorteil gereicht hatten, würden wegfallen, ein neuer Abgleich und freier Handel sollten beginnen. Andererseits konnte er bei der Aufstellung kriegerischer Truppen eine Menge einsparen. Dass er die Tochter nun kaum noch oder gar nicht mehr sehen würde, berührte ihn am wenigsten.
Tristan hielt sich während all dieser Vorbereitungen im Hintergrund. Einmal noch ritt er mit Eardweard zur Jagd, denn man brauchte für das Fest noch mehr Wild, und er erlegte drei Rehe an einem einzigen Tag. Bei diesem Ausritt konnte Eardweard immerhin zwei Wildschweine beisteuern. Als am Abend die Strecke auf einer Lichtung ausgelegt war, zerteilte Tristan die großen Tiere wieder fachmännisch mit dem schärfsten Messer, dass Eardweard bei sich hatte und ihm nur ungern auslieh. Der Jagdmeister blieb dabei auf seinem Pferd sitzen und konnte nicht anders, als den Ritter zu bewundern, wie er mit wenigen Handgriffen die Tiere zerlegte und die guten von den minderwertigen Teilen trennte.
Der Einritt in die Burg nach dieser letzten Jagd verlief weniger aufwendig als der, bei der Marke zum ersten Mal auf Tristan getroffen war. Die Jagdteilnehmer verzichteten diesmal auf eine Prozession und versammelten sich gleich im Burghof, in dem schon die Ritter und Barone auf sie warteten. Tristan ließ es sich nicht nehmen, nach der Ankunft das Horn zu blasen. Und wieder verzauberte er alle. Marke, der in Begleitung Isoldes auf dem Hof erschienen war und das bewundernde Staunen seiner Braut bemerkte, brüstete sich mit dem Geschick seines Neffen und empfand zugleich, indem er dies tat, die ersten feinen Wurzeln des Neides, die sich um sein Herz schlangen. Nicht wissen konnte er, dass Isolde in einem der Jagdrufe die Melodie eines alten eruischen Liedes wiedererkannte, das Tristan gelernt hatte, als er noch der Spielmann Tantris auf ihrer Insel gewesen war. Tränen traten in ihre Augen, die sie unter ihrem hauchdünnen Seidenschleier, den sie schnell über ihr Gesicht fallen ließ, verbarg, und sie dachte an ihre Mutter, die nicht zusammen mit Gurmûn übers Meer gekommen war. Brangaene sah, dass Isoldes Schultern zitterten. Sie trat gleich hinter sie, um sie zu beruhigen. »Noch zwei Nächte«, flüsterte sie ihr zu, »dann bist du Königin. Dann kannst du alles befehlen, was du willst. Du könntest mich sogar in den Tod schicken, wenn dir danach wäre, und niemand würde etwas dagegen sagen können.«
Als Isolde diese von einem gickernden Lachen begleiteten Worte hinter sich hörte, durchfuhr sie ein gewaltiger Schrecken. Sie erinnerte sich daran, wie ihre Mutter fremde Leute oder Bedienstete aufmunternd und manchmal voll alberner Anspielungen empfangen hatte, um dann, kaum hatten sie den Raum verlassen, einem Knappen die Anweisung zu geben, sie »zum Pflog« zu führen. Der »Pflog« bedeutete deren Tod. Von den Dienstleuten hatte sie später erfahren, wie lautlos ein solcher Tod durch das Beil geschehe, obwohl doch das Leben mit einem lauten Schrei oder zumindest einem Wimmern beginne. Wieso kamen ihr jetzt diese Gedanken? Hatte ihr Brangaene nicht neulich im Morgengrauen angedeutet, dass ihr dasselbe geschehen könne, wenn sie mit Tristan …? Tristan, wo war er eigentlich? Eben noch hatte er das Horn geblasen wie kein anderer, nun war er verschwunden.
»Führe mich zurück in mein Gemach!«, befahl sie.
Brangaene folgte sofort dieser Anweisung. Drei Zofen, deren britannische Namen Isolde ständig verwechselte oder nicht aussprechen konnte - jenfur, Jennifer, Genifer? - entkleideten und wuschen sie, legten ihr das Nachtkleid an, stellten ihr noch ein Lämpchen ans Bett und zogen sich dann zurück. Es war die vorletzte Nacht vor der Hochzeit. Isolde war allein im Raum, so war es ihr Wunsch gewesen. Niemand schlief bei ihr, niemand würde sie besuchen. Sie hatte die Augen weit geöffnet - und sah nichts. An Tristan dachte sie, aber auch an Marke. An den einen voller Liebe, an den anderen ohne Furcht. Übermorgen würde sie die Königin sein. Dann konnte sie bestimmen. Diese Gewissheit machte ihr Mut. Als Erstes würde sie anweisen, dass Tristan … Das konnte sie nicht bestimmen! … Wir müssen uns heimlich dachte sie und schloss die Augen,… wir müssen uns …
Der Vertrag ~247~ Die Hochzeit
Am Tage vor ihrer Hochzeit wurden doppelte Wachen vor Isoldes Tür pos-.
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