Tristan
der Haupttafel. Sie fand kaum Beachtung.
Die Lordschaft feierte hauptsächlich sich selbst. Die Schriftbücher und Chroniken mit den abgeschlossenen Verträgen lagen zur Besichtigung aus, die prächtigen Siegel darunter wurden gebührend bewundert. König Marke hatte so viel erreicht wie kaum ein Herrscher vor ihm. Ein grenzenloses Gefühl der Erleichterung erfüllte die Herzen der gräflichen Familien, nun nicht mehr dem irländischen Raubritter, wie offen gesagt wurde, die Söhne als Knechte und Kriegsfutter abtreten zu müssen. Und die minderen Grafen der Küstenregion brauchten nicht mehr zu befürchten, dass ihre Siedlungen von den Iren überfallen und abgebrannt wurden.
Diese Hochzeit bedeutete den Sieg Cornwalls über seine Feinde. Isolde, wenn sie sich gänzlich mit ihrer Herkunft überein gefühlt hätte, wäre dafür zum Opfer geworden. Sie spürte auch, wie sich die Stimmung zunehmend gegen ihr eigenes Volk richtete, das außer durch sie durch keinen Vertreter mehr repräsentiert war. Sie hatte sogar Verständnis dafür, dass diese Britannier ein Fest feierten, das nur wenig mit der Hochzeit zu tun hatte. Es war ein Fest der Befreiung von einer feindlichen Übermacht, und je länger es andauerte, desto häufiger wurde der Name Sir Tristan genannt. Er war es schließlich gewesen, der das Rad der Geschichte ins Rollen gebracht hatte durch seinen heldenmütigen Kampf gegen Morolt, den Kampf gegen den Drachen im fernen Irland und durch die Überbringung der Braut trotz des Sturms auf hoher See. Aber wo war Tristan, der Held?
Wie bei vielen Festlichkeiten kehrte plötzlich spät nachts eine Ruhephase ein, die Stimmen wurden leiser.
»Wo bleibt Tristan?«, wandte sich nun auch Marke an Isolde, wollte sie auf die Wange küssen, rutschte dabei ein wenig zur Seite und musste sich an der Lehne ihres Stuhls festhalten. Er spürte, dass er wohl zu viel des Weines getrunken hatte und ermüdet war, verlangte nach einem Krug Wasser und fragte erneut: »Nun, wo ist er?«
»Wie soll ich das wissen?«
Marke wandte sich um an seine Knappen, man solle Sir Tristan suchen und ihn herbringen, umgehend. Die Knappen rannten fort. Schon wenige Zeit später trat Tristan neben König Marke. Er hatte ein Gewand angelegt, das schöner nicht sein konnte. Sein Wams war von Goldfäden durchwirkt, das Hemd war gebauscht und von einem leuchtenden Rot, die hochgestellte Kragenmanschette leuchtete silbrigblau. Sein helles Beinkleid hatte er nach französischer Mode gewählt: am Knie geknöpft, mit Schleifen verziert, er trug Strümpfe feinster Webart und Schuhe aus Saffianleder. Tristan sah strahlend aus, blickte mit hellen Augen, seine langen blonden Haare waren zu einem Zopf gebunden, und er machte, als Marke seinen Namen in die Menge rief und sie damit zum Verstummen brachte, eine artige Verbeugung.
»Das ist Tristan«, sagte Marke und zügelte die Begeisterung in seiner Stimme. »Er hat mir mein Glück gebracht - Isolde!«
Wer saß, trampelte mit den Füßen auf den Holzboden, wer gerade stand, klatschte in die Hände, und ein jubelschrei folgte dem anderen, bis Marke aufstand und die Arme ausbreitete. Bei dieser sakralen Geste kehrte wieder Ruhe ein.
»Ich muss euch etwas sagen«, begann Marke. Er zögerte weiterzusprechen, und das ließ die Letzten, die noch tuschelten, endlich verstummen. »Tristan von Parmenien ist, wie ihr alle wisst, mein Neffe und mein Erbe. Bis zum heutigen Tag. Isolde aber, wenn sie mir einen Nachkommen schenkt, wird deren mere werden. Darauflasst uns unsere Gläser und Becher erheben. Vivat Isolde, vivat Cornwall!«
Die erste Nacht ~248~ und Beerenwein
Die Freude über all das Gelungene war so überschäumend, dass keiner der Gäste aufhören wollte, sie, so lange es ging, auszukosten. Als Marke spürte, dass ihm der Kopf und die Zunge immer schwerer wurden, dachte er an seine Worte von der Nachkommenschaft. Er hatte nicht vergessen, dass ihm noch die Nacht mit seiner jungen Frau bevorstand. Gleichwohl hätte er den ersten Beischlaf gern auf eine der nächsten Nächte verschoben. Aber es war Brauch und Sitte, dass er am Morgen das blutbefleckte Linnen vorzeigen musste, den Beweis für Isoldes aufgebrochene Unschuld und seine ungebrochene Männlichkeit. Also entschied er, sich zu Bett zu begeben. Isolde tanzte noch mit einem der Barone. Marke ließ sie holen.
Brangaene trat gleich an Isoldes Seite, und so gingen sie zu dritt durch den Flur zu Markes Gemach. Mit jedem Schritt in die Tiefe des
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