Tristan
in Markes Alter, der sich elegant nach fränkischer Manier kleidete und eine etwas aufdringliche Stimme besaß, nahm das Dokument schnell an sich. Marke eilte über den Flur zu Isoldes Tür und klopfte an.
Lange erfolgte keine Antwort.
Dann öffnete sich schließlich die Tür um einen Spalt, er sah einen Schimmer von Isoldes Haar und hörte ihre leise Stimme: »Du musst dich bis morgen gedulden aber mir gleich die Kräuter bringen lassen, die zu beschaffen ich Brangaene beauftragt habe.«
»Sie sagte, du könntest dich damit ums Leben bringen.«
»Aber nein, mein Liebster. Sie sind nicht für mich, sondern für dich gedacht. Nicht ums Leben will ich dich bringen, sondern dir vor Lust deine Sinne rauben. Es wird unsere erste gemeinsame Nacht sein. Vertraust du mir nicht?«
Doch, doch, ich vertraue dir - dachte Marke, gleichwohl war es ihm nicht geheuer bei alldem. Er war völlig übermüdet nach den langen Verhandlungen, in denen sie um das eine oder andere Schaf mehr, um den Scheffel Erz weniger und über das Gewicht von Silber und die Prägung von Münzen gestritten hatten. Und seine zukünftige Frau kam ihm mitten in der Nacht mit Kräutern, deren Namen er noch nie gehört und die er wahrscheinlich auch noch nie gesehen hatte - Mandragora, was sollte das um Himmels willen sein? Er wollte jetzt nur noch ein wenig schlafen, bevor der Tag anbrach. Deshalb gab er die Anweisung, dass Brangaene Isolde die Kräuter bringen und auch für die Zeit der Zubereitung bei ihr bleiben könne. Doch danach gehöre die Königin nur ihm, ihm allein.
»So wird es sein«, flüsterte Isolde ihm durch den Türspalt zu. »Doch bis es so weit ist, musst du dich noch gedulden!« Die Tür schloss sich.
Du musst dich gedulden - eine solche Forderung hatte Marke in seinem ganzen Leben noch nicht erhalten. Sogar als er noch ein Kind war und seine Eltern mit ihm durch das gesamte Königreich zogen, als er nie wusste, wo er sich gerade aufhielt, war er es gewesen, der bestimmte, was er wollte. Hauslehrer brachten ihm Lesen und Schreiben bei, Ritter das Fechten und Stechen, er aber hatte sie dazu beauftragt. Als sein Vater, an den er sich kaum erinnern konnte, auf einem Lehnstuhl am kranken Herzen starb und seine Mutter, von der er immer nur ferngehalten wurde, kurz darauf dem Sumpffieber erlag, übernahm er im Alter von kaum sechzehn Jahren Tintajol. »Ich bin als königlicher Falke geboren und frei von allen Zwängen«, bemerkte er immer wieder gern.
Dasselbe sagte er auch zu Isolde, als sie am Hochzeitstag in der Kathedrale von Tintajol zum Altar gingen. Marke war schon ein älter werdender Mann, obwohl er kaum über vierzig zählte. Doch man sah ihm die Jahre an. Seine Gesichtshaut war schlaff, seine Statur hager. Seine freundlichen Augen hatten nichts Hinterlistiges, er war gerecht und gütig, wie man sein durfte, wenn man König über so viele wohlhabende Grafschaften war, deren Barone jeder selbst auch gern ein König gewesen wäre.
Vor allem hatte Marke ein großes Herz. Er liebte es, andere an seinem Glück teilnehmen zu lassen. In diesem Sinne hatte er auch die Festtage seiner Hochzeit ausrichten lassen: Das Volk sollte sich vergnügen und ihn und seine Frau feiern.
Nicht anders geschah es. Nach dem Gottesdienst, bei dem alle Lords, Gäste und Ritter anwesend waren und der mehr als vier Stunden dauerte, zogen sich Marke und Isolde in das Haupthaus zurück, jeder ruhte ein paar Stunden in seiner Kammer aus. Am Abend trafen sie dann wieder zusammen. Der Rittersaal war festlich geschmückt. Die Plätze an der Tafel, die für Gurmûn frei gehalten wurden, blieben unbesetzt, bis bekannt wurde, der eruische König befinde sich schon mit dem gesamten Gefolge auf dem Rückweg in seine Heimat.
Marke gab dies den Gästen bekannt und verkündete den erfolgreichen Abschluss der Verträge zwischen den beiden Königreichen. Da stürmten bereits die Grafen kleinerer Güter in Cornwall die Plätze der Eruis und besetzten sie unter Gerangel und Gezänk. Sosehr es Marke gegenüber seinen Lords bedauerte, auf die Gesellschaft der Irländer verzichten zu müssen, so sehr genoss er es, mit seinen engsten Verbündeten vereint zu sein. Die Fremden und ehemaligen Feinde waren aus dem Haus, nun konnte man sich sansfacon vergnügen.
Der beste arkadische Wein wurde aufgetischt, zu essen gab es Wild, Fasan, Huhn und Schwein. Isolde, angetan mit einem Kleid in der Farbe des reinsten Elfenbeins aus Blancheflurs Truhen, saß neben Marke an der Stirnseite
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