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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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musste. Er hob ihn auf. Wie ein kleines Tier schlüpfte die Kugel in den Beutel hinein. Tristan verschloss ihn durch zwei Bänder und spürte dabei, dass seine Hände sich wie von selbst bewegten. Dann beugte er sich nochmals über die Truhe. Zu dem blauen Hemd, das wusste er, gab es dunkelrote Beinkleider, die ihm Isôt, seine Isôt, in Erui geschenkt hatte. Auch sie holte er zwischen den vielen braunen und weißen Hemden hervor, zog sie an, schlüpfte in das blaue Hemd, suchte noch nach einem ledernen Wams und merkte erst jetzt, dass er den Beutel mit der Kugel um den Hals trug. Sie lag nahe bei seinem Herzen mitten auf der Brust, schien aber kleiner und leichter geworden zu sein, denn er spürte sie kaum, als er sich das Wams zuschnürte. Als Letztes zog er sich seine Stiefel an und machte sich auf den Weg zu Markes Gemach. Er kam an einer Nische vorbei, in der eine Gestalt kauerte und ihn ansprach.
    »Ich bin es, Brangaene«, sagte sie.
    »Was machst du hier?« Tristan setzte sich neben sie.
    »Ich mache mir Sorgen um meine Königin.«
    »Was für Sorgen?«
    »Sie isst und spuckt es wieder aus.«
    Tristan war Stst sprachlos. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte er. »Sie trinkt auch Wasser und weint es aus, den ganzen Tag lang.«
    »Sie weint?«
    »Um Euch!«
    »Was soll ich tun?«
    »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass Marke Euch aus der Burg entfernen will. Vielleicht wäre es das Beste - für uns alle.« Brangaene stand auf und eilte, eingehüllt in Decken, wie ein Geist durch den Flur, bis sie hinter einer Tür verschwand.
    Tristan sah gleich darauf Kilian auf sich zukommen. »Der König wartet auf Euch«, sagte der Knappe, verbeugte sich und schritt voran. Die Morgendämmerung begann. Kilian öffnete eine Tür, aus der Marjodô entwich, gerade als Tristan durch sie eintreten wollte.
    »Der König!«, sagte Kilian und schloss die Tür, nachdem Tristan sich in Markes Gemach befand.
     
    Der Auftrag ~284~ Die Laute
     
    »Ach, mein liber Neffe«, begann Marke seine Rede, auf- und abgehend vor dem Kamin, in dem dicke Holzscheite brannten, »du musst mir wieder einmal helfen.« Markes Stimme klang so freundschaftlich, dass Tristan zunächst sein Misstrauen vergaß. »Da gibt es einen Cousin von mir«, sagte Marke, »der ist in großen Schwierigkeiten. Er ist reich, aber nicht wohlhabend genug, um sich eine französische Garde zu leisten. Du weißt, was ich meine. Draufgänger, die alles tun, was man ihnen befiehlt. Gilan heißt mein Cousin, er hat seine Burg in Swales, zwei Tagesritte von hier entfernt. In seiner Nachbarschaft haust ein Lehnsmann, der Urgân genannt wird. Er soll aussehen wie ein Riese, manche meinen sogar, er habe fünf Arme. Er versetzt die Leute, die in den Bergwerken arbeiten, in Angst und Schrecken, weil er droht, die Eingänge mit Felsbrocken zu verschließen. Sie fliehen die Gruben, es wird kein Zinn mehr gefördert. Mit einem Wort: Gilan ist in höchster Not. Nur du, habe ich ihm gesagt, könntest das Ungetüm aufhalten. Es muss ein Beowulf sein, der sich da eingenistet hat. Man sagt, er stamme aus dem Norden, wurde unter dem sich dauernd verfärbenden Himmelslicht geboren und hätte unermessliche Kräfte. - Traust du dir zu, in dieser Grafschaft nach dem Rechten zu sehen?«
    »Wenn du mir einen Knappen zur Seite stellst.«
    »Wen immer du willst.«
    »Dann soll mich Kilian begleiten.«
    Marke war erstaunt und wirkte unsicher, wandte aber gegen die Bitte nichts ein.
    Da schon am nächsten Tag der kleine Tross mit den Pferden bereitgestellt war, vermutete Tristan, Marke habe entsprechende Anweisungen gegeben und alles vorbereiten lassen. Kilian, der etwa ums Doppelte so alt war wie er selbst, kümmerte sich um die Packpferde, verschnürte die Lanzen und Beutel mit den Geschenken, die Marke für Gilan mitgegeben hatte. Zwei Tage ritten sie durch die hügelige Landschaft, bis sie zu einem befestigten Anwesen kamen, das Kilian Schloss Wellfort nannte.
    Tristans Ankunft war durch Markes Boten angekündigt worden. Er wurde aufs Herzlichste empfangen. Gilan von Wellfort war ein kaum dreißigjähriger Mann, der auf seiner Burg mit etlichen Bediensteten allein lebte und es sich gut ergehen ließ. Von Tristan hatte er schon viel gehört. Seine Heldentat, Morolt besiegt und König Marke zu einer Frau verholfen zu haben, gar noch zu einer irländischen Königstochter, war längst bis in die hintersten Winkel Cornwalls vorgedrungen. Tristan empfand Gilan auch sofort als angenehme Person, der er

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