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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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hinteren Räume. Der Bischof »verstand die Reaktion Eurer Fürstin«, wie er sagte, selten habe er eine solch schöne Stimme so anmutig klingende Lieder singen hören. Er beglückwünschte Marke zu seinem Ritter, dessen Namen man sich merken müsse.
    Marke lächelte zu den Worten und verfluchte, dass er nicht einfach aufstehen und Isolde wegen ihres Benehmens zur Rede stellen konnte. Sie liebte ihn immer noch, seinen Neffen. Eine andere Deutung gab es nicht. Alle, die an diesem Abend anwesend waren, hatten es bemerkt. Die Lieder galten nur einer Person: Isolde.
    Tristan verbeugte sich nach seinem Vortrag. Er hatte erreicht, was er nicht gewollt, sich aber insgeheim gewünscht hatte. Isolde war betört, er befreit davon, ihr seine Liebe nicht zeigen zu können, sie waren ein Paar, die Kunst seines Gesangs, die Worte des Dichters hatten sie wieder vereint. Was nicht geschehen durfte, war geschehen. An diesem Abend lag er auf seinem Lager und schloss die Augen voller Wonne.
    Am nächsten Morgen wurde er unsanft aus dem Schlaf gerissen. Sein ihm zugewiesener Knappe Kilian stand neben ihm und rüttelte ihn an der Schulter. »Herr«, sagte er, »der König hat Nachricht von einem Verwandten in einer benachbarten Grafschaft, dem Ihr ritterlich zur Seite stehen müsst. Erhebt Euch. Das ist eine Weisung.«
     
    Die Kugel, noch einmal ~283~ Die Königin weint
     
    Tristan hatte durch die Vorwarnung, die er erhalten hatte, wohl gemerkt, dass der Knappe Kilian ihm all die Tage heimlich gefolgt war. In die bibliotheca wagte er sich allerdings nie, sondern wartete immer nur in der Nähe der Tür. Doch Kilians Gegenwart erschien ihm unwichtig, schließlich hatte er nichts zu verbergen.
    Nun stand der Knappe plötzlich des Morgens an seinem Bett. Tristan wollte erst aufbrausen, bezähmte aber seinen Unmut und fragte nach dem Grund. »Eine Weisung«, wiederholte Kilian. »Der König möchte Euch sehen.«
    »Bist du ein Dienstmann des Königs oder ein einfacher Knappe?«
    »Ich höre nur auf die Worte Markes.«
    »Und die sind?«
    »Er wird sie Euch selbst sagen.«
    »Haben wir uns nicht schon einmal gesehen?«, fragte Tristan. Er war aufgestanden und zu seiner Truhe gegangen, in der er seine Kleider aufbewahrte. »Ich bin von König Marke zu Eurem Schutz einbestellt.«
    »Ich meine früher. Vor langer Zeit.«
    »Das kann nicht sein. Ich bin erst seit ein paar Monden auf der Burg.«
    Tristan suchte in der Truhe nach einem blau eingefärbten Hemd, von dem er wusste, dass es Isolde besonders gern an ihm sah. Denn insgeheim hoffte er, bei der Unterredung mit Marke auch die Königin anzutreffen. Das Hemd hatte er schon lange nicht mehr getragen, fand es nicht gleich und wurde ungeduldig. Er fragte Kilian, um von sich abzulenken, ob heute mit Sonne zu rechnen sei, und wühlte in der Truhe herum.
    »Sonne kaum«, sagte Kilian, »eher Regen.«
    »Ach, da ist es!« Tristan zog das Hemd zwischen den Kleidern heraus, hob es hoch und dabei fiel etwas polternd zu Boden. Marjodô erwachte kurz über dem Lärm, Tristan trat einen Schritt zurück und sah zu seinen Füßen Riwalins goldene Kugel liegen.
    Die Kugel begann zu rollen, als wäre der Boden abschüssig. Sie kam genau vor Kilians Füßen zum Stillstand. Marjodô wälzte sich grunzend auf die andere Seite, und Kilian bückte sich in seiner Verwunderung, um den kleinen goldenen Ball aufzuheben. Sobald sich ihm seine Hand näherte, rollte die Kugel davon zu einer Ecke des Zimmers.
    »Was ist das?«, stieß der Knappe hervor und jagte wie ein Kind der Kugel nach. Kaum kam er in ihre Nähe, änderte sie die Richtung, führte den Mann von Ecke zu Ecke, bis die Kugel genau vor Tristans Füßen liegen blieb. Der bückte sich und hob sie auf. Sofort begann sie zu glänzen. Selbst überrascht davon, hielt er sie Kilian entgegen, nur um ihm zu zeigen, wie verwunderlich das sei. Markes Knappe bedeckte seine Augen mit den Händen, als würde er geblendet. Außerdem begann er, schwer zu atmen. Er drehte sich um, rannte zur Tür, riss sie auf und floh. Zur gleichen Zeit hatte sich Marjodô auf seinem Lager aufgerichtet und starrte Tristan wie eine Erscheinung an. Als wäre er aus einem bösen Traum erwacht, stöhnte er, schlug sich ein Fell um die Schultern und verließ unter Husten und Keuchen den Raum.
    Tristan war allein. In der Hand hielt er die Kugel, sah sich um und bemerkte einen vielfach geflochtenen Lederbeutel, der vor seinen Füßen lag und wohl mit dem blauen Hemd aus der Truhe gerutscht sein

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