Tristan
mir, er habe fünf Arme!« Tristan musste lächeln.
»Das ist kein Spaß, Freund Tristan«, sagte Gilan zornig. »Natürlich hat er keine fünf Arme. Aber er ist zum einen mein Lehnsmann, muss sich nach meinen Vorgaben richten, zum anderen ist er eine Ungestalt, die über enorme Kräfte verfugt. Dreimal habe ich ihn bisher gesehen, immer nur von Weitem, denn er hat seine Ländereien auf der anderen Seite des creek. Ich will nichts von ihm als seine Abgaben, die mir zustehen, denn es ist mein Land, auf dem er lebt. Er aber kommt, wann es ihm passt, über die einzige Brücke, die es über den Fluss gibt, und stiehlt mir mein Vieh. Er scheint völlig verwahrlost zu sein, ich möchte nicht wissen, wie es auf seiner Burg aussieht. Wahrscheinlich herrscht dort großes Unrecht. Die Leute, die ihm nicht gehorchen und das tun, was er anordnet, die erschlägt er. Wie oft haben wir schon auf unserer Seite Leichen aus dem Wasser gefischt und sie am Ufer bestattet. Ich darf gar nicht daran denken.«
»Wo ist er jetzt?« Tristan fragte auf eine Weise, als wäre er sehr angetan von dieser Unterredung.
»Wo soll er schon sein? Nach Auskunft meiner Läufer geht er zur Brücke, um die Schafe hinüberzutreiben. Und wenn sie einmal auf der anderen Seite sind, gehören sie ihm.«
»Dann hindern wir ihn daran!« Tristan sah sich um. »Du hast hier doch tapfere Mannen.«
»Keiner von denen wagt auch nur einen Schritt in Richtung von Urgâns Ländereien. - Ist es nicht so?«, brüllte Gilan. Die Reiter und Knappen wichen vor ihm zurück.
»Dann werde eben ich ihm das Handwerk legen«, sagte Tristan übermütig. »Ich bringe dir deine Schafsherde zurück.«
»Wenn dir das gelingt«, sagte Gilan aufrichtig, »bekommst du als Lohn, was immer auch du von mir verlangst!«
Tristan lachte über dieses Versprechen, er habe Derartiges nun schon so oft gehört.
»Ich stehe zu meinem Wort«, erwiderte Gilan beinahe verärgert.
»Und ich zu meinen Taten.« Er reichte dem Freund die Hand, Gilan schlug ein, dann sah sich Tristan nach Kilian um und schickte ihn weg, sich um ihre Ausrüstung zu kümmern. Er wolle nur von seinem Knappen begleitet werden, sagte er, und keinen anderen Reiter hinter sich sehen, nicht einmal den Burgherrn selbst. Gilan hielt sich an die Abmachung. Kaum war die Sonne aufgegangen, war Tristan mit Kilian auf dem Weg zum Fluss, den man creek nannte.
Als sie die schmale hölzerne Brücke, die sich hoch über das felsige Flussbett spannte, vom Hügel aus erblicken konnten, war Urgân gerade dabei, die Schafe von Gandins Landseite her darauf zuzutreiben, damit sie auf sein Gebiet jenseits des creek überwechselten. Der Hüne führte ein Pferd mit sich, von dem man kaum annehmen konnte, dass es seinen massigen Körper würde tragen können. Mit einem langen Stock hieb er auf die Schafe ein, brüllte sie an und achtete nicht darauf, was sonst um ihn herum geschah. Tristan schaute ihm eine Weile lang zu, dann ließ er sich von Kilian einen der kürzeren Speere geben, befahl dem Knappen, an seinem Standort zu bleiben, und ritt den kurzen Abhang hinunter.
»Urgân!«, rief er und hielt auf halbem Weg an, nachdem er die Wurfweite abgeschätzt hatte. »Was du gerade tust, wendet sich - gegen das Recht von Britannien - und gegen das Recht - von Gottes Welt. - Treibe die Tiere - zurück, dann geschieht - dir nichts!« Mit jedem Satz, den er Wort für Wort betonend ausrief, war sein Pferd einen Schritt vorwärtsgegangen und verharrte nun wieder ruhig wie ein Standbild.
Der Hüne hatte den Ritter am Hügel erblickt und hinter ihm in einiger Entfernung den Knappen. Er schüttelte nur den Kopf und wandte sich wieder der Herde der Schafe zu, die sich schon dicht an dicht und blökend auf die Brücke zwängten. Auf der anderen Seite warteten einige Bauern mit Stöcken, die die ersten Tiere in Empfang nahmen und sie auf einen mit hohen Büschen bestandenen Hügel scheuchten. Tristan wandte sich deshalb mit seinen nächsten Worten an die Knechte, sie sollten den Anweisungen des Großmauls, wie er Urgân nannte, nicht länger folgen. Dabei war er wieder Schritt für Schritt wie bei einem Aufritt zum Turnier der Barriere der Brücke näher gekommen.
Die Knechte schauten sich um. Auch sie sahen nur einen einzelnen Ritter, wenn auch in prächtiger Rüstung, und einen Knappen, der mit seinem Pferd auf der Kuppe des Hügels verweilte. Auf der anderen Seite stand Urgân und prügelte die Schafe vorwärts.
»Was bist du nur für eine Memme!«,
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