Tristan
der Papst oder die Könige die Ordnung unter den Menschen bestimmten, sondern das Wesen des Humanen. Die Liebe untereinander war darin die Rechtsgrundlage, nicht die Abstammung. Doch das alles wurde vernichtet, in Brand gesteckt von denjenigen, die ihre Macht und ihren Besitz verteidigten.«
Gilan versuchte, seinen Freund zu trösten. Erst verlangte er, dass der beste Wein aus dem Keller geholt wurde. Tristan trank davon, doch sein Gemüt schien sich mit jedem Schluck noch mehr zu verdunkeln. Und mit der Traurigkeit stieg Verzweiflung in ihm auf. Irgendwann konnte Gilan das Leiden dieses ehrlichen Mannes nicht länger mitansehen und schickte eine der Mägde, Petitcrue zu holen.
Tristan ahnte nicht, was geschehen sollte. Durch die Tränen hindurch, die ihm aus den Augen sickerten, sah er, dass der Tisch abgeräumt und mit kostbaren Tüchern bedeckt wurde. Dann kam eine Magd und setzte mitten auf dem Tisch ein Hündchen ab. Es hatte ein freundliches Gesicht, kläffte und fiepte, als Gilan es streichelte, und trat dabei wie ein winziges Pferdchen im stehenden Trab auf und ab. Waren diese Bewegungen schon voller Zierlichkeit, überraschte Tristan noch mehr das Fell des Tieres. Es glänzte in allen Farben, die man sich nur vorstellen konnte, changierte von Weiß zu Schwarz am Bauch, und zu Blau, Rot, Violett, Grün und Gelb auf seinem Rücken, als würde ein sich ständig ändernder Regenbogen darüberhuschen. An seinem Hals trug das kleine Tier an einem Band ein goldenes Glöckchen, das in hellen Tönen bimmelte.
Tristans Traurigkeit war wie weggezaubert. Er ergötzte sich an dem Anblick Petitcrues und begann sogleich, den Hund zu streicheln und ihm neckische Namen zu geben. All sein Kummer war verflogen.
»Das macht das Glöckchen«, sagte Gilan. »Merhild hat mir dieses Wesen geschenkt nach einer wunderschönen Nacht!« Er lehnte sich zurück und schenkte Wein nach. »Ich traf sie in Erui, das du ja wohl ganz gut kennst, und behauptete, das Spielzeug, wie ich Petitcrue nenne, stamme aus Avalon, dem sagenhaften Königreich, von dem die einen behaupten, es wäre für immer im Meer versunken, während andere meinen, es sei eine schwimmende Insel.« Gilan lachte und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was stimmt, ein Stück Wahrheit mag ja wohl enthalten sein, denn dieses Hündchen existiert, und es gehört nicht zu den Lebewesen auf dieser Erde, mit denen wir es normalement zu tun haben. Stimmt’s, Petitcrue?« Wieder streichelte er den Hund, das Fell schillerte, und das Glöckchen erklang so schön und fein, dass auch Tristan nochmals die Hand nach dem Tier ausstreckte.
Gilan beobachtete ihn, sah, wie sich Tristans erst neugieriger Blick veränderte und einen gierigen Ausdruck annahm. Daher befahl er den Mägden, das Hündchen wieder fortzunehmen, denn er fürchtete, dass Tristan sich allzu sehr in es verliebte.
»Es ist ein zartes Wesen«, sagte er, sich dafür entschuldigend, zu Tristan, »man darf es nicht zu sehr - utiliser. Aber es hat, wie du bemerken wirst, eine lang anhaltende Wirkung. Was dir traurig erschien, kehrt sich um in Fröhlichkeit, was dich bedrängt, wird mit einem Mal unwichtig. Petitcrue ist der Grund dafür, dass ich mir, seitdem ich ihn besitze, kaum mehr Sorgen mache. - In diesem Sinne, Bruder, lass uns noch ein Glas trinken, dann sind wir beide müde genug, um bis in den späten Morgen zu schlafen.«
Tristan war beglückt. Schon lange hatte er sich nicht mehr so unbeschwert gefühlt. Nach einem letzten Schluck Wein ging er zufrieden in seine Kemenate und ließ sogar das einzige kleine Fenster mit einem dichten Wolltuch verhängen, damit das Morgenlicht ihn nicht weckte. Deshalb glaubte er, dass er verschlafen hätte, als ihn Kilian an der Schulter rüttelte.
»Ist schon Mittag?«, fragte er.
»Nein, Herr, es ist früh am Morgen. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Baron Gilan schickt mich. Es ist etwas Furchtbares geschehen! Ihr müsst ihm helfen!«
Petitcrue ~286~ Urgân
Gilan ging im Versammlungsraum seiner Burg auf und ab, als Tristan, immer noch voller Zufriedenheit, denn er hatte wunderbar geruht, das Zimmer betrat. Es waren zwei Reiter anwesend, die Mäntel und Schilder mit den Zeichen der Burg trugen, und eine Handvoll Knappen. »Er hat es wieder getan!«, schrie Gilan. »Was hat wer getan?«, fragte Tristan in aller Ruhe.
»Urgân ist in der Nacht über meine Schafsherden hergefallen und hat sie mitgenommen.«
»Das weiß ich schon von Marke. Man sagte
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