Tristan
bereitgehaltene Mahl und schickte die Knappen nach draußen mit der Weisung, seine Pferde und seine Rüstung in gute conditio zu bringen. Unruhig lief er im Zelt auf und ab, aß ein wenig Brot, trank vom Wein und begann zu bereuen, dass er sich von seinem Wunsch, dem Meer wiederbegegnen zu wollen, dazu hatte verführen lassen, nicht den viel kürzeren Weg zu Pferd nach Tintajol gewählt zu haben. Er wusste Isolde ganz nah, und zugleich schien sie ihm, durch Markes protocollum von ihr getrennt, ferner denn je zu sein. Warum ging er nicht einfach hinüber in ihr Zelt? Wer wollte ihn, der gerade einen Riesen besiegt hatte, daran hindern? Sollte doch der Herold zu Marke eilen und ihm davon berichten! Was konnte schon geschehen? Und warum meldete sich Isolde nicht, warum schickte sie nicht wie sonst Brangaene?
Da begann es, an die Zeltplane zu klopfen. Tristan war schon auf dem Sprung, den Eingang zu öffnen, als er merkte, dass es Regentropfen waren, die gegen den Stoff schlugen. Das Klopfen ging in ein Prasseln über, aufgeregte Rufe waren von draußen zu hören, und ein Knappe in durchnässten Kleidern trat ein, atemlos meldend, ein gewaltiger Sturzregen ginge über Seaford nieder, man müsse sich in Sicherheit bringen.
»Bleib bei den Pferden!«, rief Tristan ihm zu und schickte ihn wieder weg. Da erst merkte er, dass sich um ihn herum auf dem Erdreich kleine Rinnsale bildeten, die unter den Zeltwänden hervorgetreten waren. Von draußen war nur noch ein einziges Rauschen zu hören, böiger Wind kam auf und drückte gegen die Planen, einige der Öllichter erloschen, und über den leicht abschüssigen Boden floss nun das Wasser wie in kleinen sprudelnden Bächen und umspülte bereits Tristans Füße. Ohne sich bewegen zu können, stand er da, gelähmt von der etiquette des Hofes, an die er sich zu halten hatte, und von der plötzlich einbrechenden Gewalt der Natur. Erst ein Hilferuf riss ihn aus seiner Erstarrung. Brangaene stand mit tropfenden Haaren im Eingang des schwankenden Zelts, schrie ihn an, er solle kommen, Isoldes beteldan sei schon halb eingedrückt, sie sei in Not!
Tristan griff sogleich nach Dolch und Schwert und rannte unter peitschenden Regenschauern hindurch hinter Brangaene her. Sie erreichten Isoldes Zelt, von dem nur noch ein paar Pfosten standen, während die losgerissenen Stoffbahnen im Wind gegeneinanderklatschten. »Es gibt einen Stall gleich in der Nähe, folgt mir!«, schrie Brangaene und lief wieder vorneweg. Isolde und Tristan eilten einen steinigen Abhang hinauf, der immer wieder von Blitzen erleuchtet wurde. »Hier ist es, hier, hier!«, hörten sie wieder Brangaene rufen, bis das mächtige Grollen des Donners ihre Stimme verschluckte. Tristan schob Isolde, die sich ein dichtes Tuch über den Kopf geworfen hatte, vor sich her. »Gleich sind wir in Sicherheit!«, rief er ihr zu, hörte erneut Brangaenes Rufe, ertastete den Rahmen einer Tür, sie hatten den Stall erreicht. Es roch nach Heu, nach dem Urin von Ziegen oder Schafen, und nun war auch Brangaenes Stimme wieder deutlich zu hören, die ihnen zurief, das Tor hinter sich zu schließen. Tristan verriegelte es, als plötzlich erst Funken aufschlugen und dann die Flamme einer Lampe zu leuchten begann. Er sah Brangaene, wie sie das Licht vor ihr lachendes Gesicht hielt, und hörte sie sagen: »Beruhigt euch, es ist für alles gesorgt! Der Himmel hat uns den Sturm geschickt, ich aber habe schon vor Tagen für euch dieses Versteck gefunden.«
Es erwies sich alles so, wie die treue Zofe es andeutete. Schon bald nach der Ankunft in Seaford hatte Brangaene den Stall in der Nähe des Hafens ausfindig gemacht und dem Bauern, dem er gehörte, einen Beutel voller Münzen in die Hand gedrückt, damit Tristan und Isolde ein Refugium hätten. Auf Schleichwegen hatte sie die beiden in der Nacht dorthin führen wollen. Doch mit dem plötzlichen Gewittersturm war alles viel einfacher geworden. Als Tristan und Isolde sich in dieser ersten Nacht, in der sie nach so langer Zeit wieder beieinanderliegen konnten, inniglich liebten, verkroch sich Brangaene in die Nähe der eingepferchten Ziegen, um nicht den Tönen der Lust lauschen zu müssen, der sich ihre Königin und Tristan leidenschaftlich hingaben. Kaum dämmerte der Morgen, weckte sie die beiden.
»Steht auf!«, sagte Brangaene energisch. »Eure Liebesnacht ist vorbei, wir müssen zurück zum Tross, sonst wird man nach euch suchen. Der Regen hat aufgehört, die Wege sind voller Schlamm, und wir
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