Tristan
dass von diesem Abend an bis zum Morgengrauen des nächsten Tages meine Frau und mein Neffe Zeit haben werden, sich genügend Proviant und Zahlungsmittel zu besorgen, damit sie sich frei und ungebunden von den Verpflichtungen des Hofes einen eigenen Weg suchen können. Dieser Weg muss außerhalb der Grenzen Cornwalls liegen. Werden sie innerhalb der Grenzen angetroffen, gelten sie als vogelfrei und gehen all ihrer Rechte verlustig. So lautet das Dekret.« Marke schaute wieder zum Schreiber hin, der erneut mit dem Kopf nickte.
»Ich verfüge fernerhin«, fuhr Marke mit schneidender Stimme fort, die jedes Getuschel verstummen ließ, »dass meine Herrin und Ritter Tristan nur von einer Person begleitet werden dürfen, nämlich von Klosterbruder Courvenal. - Ist er anwesend?« Marke schaute in den Saal.
»Adsum«, klang Courvenals Antwort über die Köpfe hinweg. Sämtliche Anwesenden drehten sich nach der Stimme um, aber Courvenal stand nicht auf. Er war auch nicht im Habit, sondern trug einfache weltliche Kleidung ohne jede Verzierung.
»Nachdem dies nun erklärt ist, gebe ich die Gründe für meinen Entschluss bekannt. Zwischen meiner Herrin und meinem Neffen, den ich einst zu meinem Erben erklärte, scheint eine besondere Verbindung zu bestehen. Es ist mir weder gelungen, dieses geheimnisvolle Verhältnis aufzudecken, noch die Liebe der Königin, die ich zu ihr empfinde, so auf mich zu lenken, dass hieraus ein Thronfolger hätte hervorgehen können. Da meiner Herrin nicht einmal durch das Gottesurteil der Heiligen Kirche unlauteres Gebaren nachgewiesen werden konnte und ich meinen Neffen und Erbfolger immer noch ob seiner ritterlichen Taten wertschätze, sollen die beiden miteinander ihr Leben außerhalb Cornwalls versuchen. Ich bin der König über alle meine Untertanen, nicht aber immer Herr über meine Empfindungen und Gefühle. Um weiterhin gerecht urteilen zu können, verbanne ich sie aus meinem Reich. Gesprochen im Jahr des Herrn vor allen, die Zeugen sind. Die Versammlung ist aufgehoben. Es wird ein Abendschmaus gereicht. Die Freigesetzten mögen sich entfernen.«
Rückzug ~290~ Wessely
Der Tumult, der auf diese Rede hin unter den Baronen entstand, war unbeschreiblich. Jeder glaubte, Markes Entscheidung auf seine Weise deuten zu müssen. Der König ließ seine Herrin mit einem Ritter davonziehen, der immer noch das Anrecht auf seine Erbschaft verlangen konnte, und schien zugleich auf Nachkommen verzichten zu wollen. Andererseits schien er nicht bereit, seine Pflichten gegenüber Irland zu erfüllen. Isolde und Tristan für vogelfrei zu erklären konnte nichts anderes nach sich ziehen, als dass Gurmûn die Schwäche Cornwalls ausnutzen und seine Rechte einfordern würde, da in seinen Augen Isolde nicht mehr Königin von Britannien und Erui sein konnte. Und wie sollten sie, die Barone, hinter einem König stehen, der gegen sämtliche Herrschaftsregeln verstieß? Wie würden der Bischof von Londres oder gar der Papst sich dazu stellen, wenn sie in absehbarer Zeit von dem eclat erführen?
Das Essen wurde gebracht und stopfte für eine Weile die geschwätzigen Mäuler. Marke war verschwunden, aber Baron Wessely konnte ihm durch die Flure folgen und ihn zur Rede stellen, kurz bevor der König in sein Gemach trat. »Marke«, sagte er mit verzweifelt klingender Stimme, »Ihr wisst selbst: Dies kann keine Lösung bedeuten.«
»Vielleicht gibt es keine«, sagte Marke, »oder hältst du eine für mich parat?«
»Eine ganz einfache«, antwortete darauf Wessely sich windend. »Meine Tochter, Florine, Ihr kennt sie, die würde Euch schon im nächsten Jahr einen Nachkommen schenken.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein?«
»Weil sie trägt, sobald sie einen Liebhaber hat.« Wessely lächelte und zog die Augenbrauen hoch.
»Und wie viele Liebhaber hatte sie bisher?«
»Wer so schöne Augen hat wie sie, kann sich nicht beklagen. Letzten Sommer war sogar Tristan bei ihr.« Marke horchte auf.
»Oh, da gab es nichts Besonderes«, sagte Wessely, und es sollte beiläufig klingen. »Sie saßen sich nur beim Essen gegenüber und unterhielten sich angeregt. Mehr sollte auch nicht geschehen zwischen einem Ritter und einer Baronesse. Ihr aber - Ihr solltet darüber nachdenken, ein König und eine Fürstentochter! Zwei ebenbürtige Häuser würden sich vereinigen. Ich kann Euch als Mitgift eine Zenturie von Reitern und Knappen stellen, die Euch jederzeit zur Seite stehen. Meine Zinngruben werfen guten Gewinn ab,
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