Tristan
werden so tun, als würden wir aus verschiedenen Richtungen zum Lager zurückkehren, als ob jeder von uns einen anderen Unterschlupf vor dem Unwetter gefunden hätte. So kann niemand Verdacht schöpfen.«
»Warum sollen wir lügen?« Tristan hatte sich aus Isoldes Armen gelöst. Er fühlte sich glücklich und stark. »Das Schicksal hat uns zusammengetrieben, daran ist doch auch etwas Wahres.«
»Niemand will hier die Wahrheit hören!« Brangaene klang ernst, während Isolde lachend versuchte, Tristan zurück auf ihr Lager zu ziehen. Dieses ignorante Verhalten machte Brangaene wütend.
»Wisst ihr denn nicht, was morgen geschehen wird?«, fragte Brangaene verzweifelt.
»Marke hat den Versammlungssaal herrichten lassen und die Barone einberufen«, sagte Tristan leichthin. »Das zumindest war die Auskunft des Herolds. Was kann das anderes bedeuten, als mich in der Runde dazu beglückwünschen zu wollen, dass ich Urgân getötet habe?« Tristan fühlte sich glückselig an der Seite seiner Geliebten.
Brangaenes Gesicht verfinsterte sich. »Nun genug der Scherze!«, sagte sie. »Marke kann nicht mehr dulden, was ihr ihm antut, ohne seine Würde zu verlieren.«
»Es geschieht ihm doch nichts Böses durch uns!« Tristan löste sich wieder von Isolde.
»König Tristan«, sagte Brangaene darauf - noch nie zuvor hatte sie ihn auf diese Weise angesprochen. »Oder hörst du lieber: Spielmann Tantris? - Stünde es in meiner Macht, würde ich vergangene Taten rückgängig machen und zuallererst das Fläschchen mit Königin Isoldes Zaubertrank ins Meer werfen, noch bevor ihr es…«
»Ach, was hätte ich nicht alles gern ganz anders gemacht!«, fiel er Brangaene ins Wort und wurde seinerseits von Isolde unterbrochen: »Ich dagegen täte gern alles noch einmal wie bisher!« Sie fiel Tristan um den Hals und küsste ihn.
»Ihr wollt es nicht begreifen!« Brangaene begann zu schluchzen.
»Sie weint vor Freude über uns«, bemerkte Tristan spöttisch. Doch Isolde ließ plötzlich von ihm ab, stand auf und näherte sich ihrer Zofe. »Das kann ich nicht glauben«, sagte sie leise. »Sprich, Brangaene, wir hören dir zu. Was hast du auf dem Herzen.«
»Am Hofe ist die Rede davon«, berichtete Brangaene unter Tränen, »dass Marke euch verbannen will. Deshalb auch die Zusammenkunft der Barone auf Tintajol. Er kann die Blicke nicht mehr ertragen, die ihr euch in seiner Gegenwart zuwerft. Er spürt eure untrennbare Verbindung. Er fühlt, dass ihr ihm immer weniger Luft zum Atmen lasst. Man lacht und spottet über ihn. Er ist ein König vor Gott, und sein Gott gebietet ihm, die Ehe zu heiligen. Er selbst ist dem Gelöbnis treu. Keine einzige Magd oder maitresse sah man je aus seinem Gemach kommen. Genifer ist verschwunden, da wird so manches gemunkelt, aber niemand weiß etwas. Auch mir ist nichts über die beiden bekannt. Und keiner der Barone, die dem König ihre Cousinen oder Nichten anboten, wurde von ihm begünstigt. Er liebt dich, Isolde. So ehrenvoll wie Marke ist auf dieser Insel kein anderer Fürst. Ihr aber treibt euer Spiel weiter.«
»Es ist kein Spiel!« Tristan brauste auf.
»Was ist es dann?«
»Liebe.«
»Und all das andere, was du getan hast: deine Verkleidung als Pilger am Ufer von Caerleon, deine schönen Verse und Lieder als Spielmann Tantris, der Kampf mit dem Drachen, der keiner war - geschah das alles aus Liebe? Selbst zu einer Zeit, als es zwischen dir und Isôt noch gar keine gab? Oder war es und ist es dein Wesen, den anderen die Unschuld zu rauben, weil du ihrer selbst beraubt worden bist? Weil du einen Vater hattest, der nicht dein Vater war, eine Mutter, die nur vorgeben konnte, deine Mutter zu sein? Ist dies der Grund, dass es in deinem Leben keine Kinder gibt, weil du keine Eltern hattest? Hältst du deshalb von Courvenal, deinem Lehrer, Abstand, weil er dich durchschaut hat? Ist die Wahrheit dein alleiniger Besitz? Hast du …«
»Genug jetzt!«, schrie Tristan Brangaene an. »Ich tue, was ich tue, da ich nicht anders kann. Und wenn ich dafür bestraft werde, muss ich es hinnehmen. Geh jetzt, lass uns allein! Geh voraus, sag allen, du hättest uns verirrt im Wald gefunden, einen jeden von uns auf einem anderen Weg! Dass es für uns immer nur einen einzigen gemeinsamen geben wird, muss niemand wissen, weil es niemand versteht. Geh!«
Kühler Empfang ~289~ Kurze Versammlung
Am späten Nachmittag dieses Tages ritten sie in Tintajol ein. König Marke i erwartete sie, umgeben von einer
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