Tristan
nach seinen Worten gleich von mir ab, und gab Isolde ein Zeichen, ihm zu folgen. Tristan blieb noch eine geraume Zeit bei seinem Pferd stehen, als würde er erst langsam begreifen, was Marke gesagt hatte. Er blickte mich an, Hilfe suchend, doch ich konnte ihm nicht helfen. Er tat mir leid, weil ich sein Leiden ahnte. So gingen wir auseinander.
Tristan sah, wie sich alle von ihm abwandten: Marke schritt mit Isolde zum Haupthaus und die Treppe hinauf, Courvenal schenkte ihm einen verzweifelten Blick und drehte sich weg, die Knappen kümmerten sich um die Pferde und führten sie hin zu den Ställen. Einer der jungen Männer hatte sich seine Satteltaschen umgehängt und ging voraus zu dem Seitentrakt, in dem Marjodô und er ihre Kemenate hatten. Als er hinter dem Knappen dort eintrat, brannten auf einem der beiden Tische mehrere Lämpchen. Der Truchsess saß auf seinem Lager, schliff an einem Wetzstein einen Dolch und begrüßte Tristan mit den Worten: »Wie war der Sommer?«
Tristan hätte Marjodô am liebsten mit seinem Messer erstochen. Er beherrschte sich, antwortete irgendetwas und ordnete für den nächsten Tag eine Zusammenkunft an, bei der er aufs Genaueste über alle Befestigungsmaßnahmen unterrichtet werden wollte.
Marjodô lachte kurz und fragte: »Hast du jetzt dem Truchsess der Burg zu befehlen?«
»Das ist des Königs Weisung!«, sagte Tristan entschieden. »Wir treffen uns morgen, nach Sonnenaufgang! Mach die Lichter aus, ich will schlafen. Und wenn du das nicht gleich tun willst, werde ich es sein, der sie löscht. Dein eigenes lächerliches Flämmchen könnte vielleicht auch darunter sein. Ich gebe dir Zeit, meiner Anordnung zu folgen, bis ich mich auf mein Lager gebettet habe.«
»Von Mauer zu Mauer« ~295~ Der »Eruische Altar«
Zwischen Marjodô und Tristan wächst eine Art Feindschaft, schrieb Courvenal in sein Heft, die nichts Gutes erhoffen lässt. Seit Tagen sehe ich die beiden nun schon zusammen auf der Burg herumhetzen, sie eilen von Mauer zu Mauer, von Turm zu Turm, von Graben zu Graben. Stets hat Tristan etwas gegen die Güte der ausgeführten Arbeiten einzuwenden. Neben ihm her läuft sein Hund. Dann geschieht es bisweilen unerwartet und unabgesprochen, dass Isolde auftaucht und der Hund schwanzwedelnd zu ihr läuft. Sie begrüßt ihn wie einen Freund, umarmt ihn gar, lässt sich das Gesicht ablecken. Wenn Marke auftaucht, gibt sie dem Hund sofort einen Klaps, und er läuft zu Tristan zurück. Der beugt sich nieder zu dem Hund, lässt sich von ihm ebenfalls im Gesicht und an den Händen beschnüffeln, und man muss den Eindruck gewinnen, der Hund habe nun die Küsse der beiden aufeinander übertragen. Tristan und Isolde blicken sich kurz an. Ein Blinder kann sehen, wie sehr sie einander verbunden sind. Dem König kann das nicht entgehen. Sein Blick verfolgt diese Blicke. Die Pfeile einer Armbrust schießen nicht schneller. Ich kann es kaum ertragen, diese Verfolgung, dieses Beobachten, diese Wehmut, diese Hoffnungslosigkeit. Aber Tristan und Isolde halten den geforderten Abstand zueinander. Nie sah ich, dass sich ihre Hände berührten. Im Gegenteil: Sie geben sich nicht einmal mehr die Hand, wenn ein Besucher kommt, ein Bischof oder ein Baron, und aus diesem Grund ein kleines Fest veranstaltet wird. Mit Anstand stehen sie einander gegenüber, verbeugen sich und gehen auseinander wie zwei Fremde. Ich werde nicht klug aus ihnen. Ich weiß nicht, wie sie sich verabredet haben, doch bin ich mir dessen gewiss, dass sie es taten. Sie verbergen ihre Blicke und schauen sich dabei in die Augen. Sie geben sich Handzeichen, ohne ihre Finger zu bewegen. Es ist wie ein Spiel zwischen ihnen. Ich ahne, dass Marke es ebenso bemerkt, auch wenn er herumstolziert wie der große König und dabei beständig lächelt.
Tristan, dies abschließend, scheint seine Arbeit an den Wällen zur Zufriedenheit aller zu erledigen. Dasselbe gilt für seinen Verdienst bei der Ausbildung der Knappen. Er hat uns auch schon mehrfach zur Laute gesungen und dichtet dabei Verse über das glückliche Leben in der Wildnis. Jedes seiner Worte muss für Marke wie ein Stich ins Herz sein, aber er tut so, als wolle er davon nichts wissen. Isolde wendet ihren Blick ab von Tristan wie auch von Marke. Ich spüre, dass ihr Herz zu bluten beginnt. Mehr jetzt nicht dazu. Noch: Der Hund benimmt sich immer merkwürdiger. Er scheint nicht zu wissen, wo er hingehört. Mal läuft er zu Isolde, mal zu Tristan. Immer wird er
Weitere Kostenlose Bücher