Trix Solier - Odysee im Orient - Lukianenko, S: Trix Solier - Odysee im Orient - xx
leicht vorstehende Fensterbrett zu inspizieren.
Das glatt abgehobelte Holz war staubig und von einem Spinnweb überzogen, barg aber kein Geheimnis. Als Trix jedoch die Kerze an das Spinnennetz hielt und es knisternd abbrannte, bemerkte er, dass ein Stück Holz eine andere Farbe aufwies als der Rest.
Trix entnahm einer Lade des Schreibtischs ein altes, stumpf gewordenes Federmesser und polkte damit an dem Scheit herum, bis es schließlich herausfiel. Ihm folgte ein leibhaftiger Bronzeschlüssel, der zwar nicht sehr groß war, dafür aber einen verschnörkelten Bart besaß.
Mit laut hämmerndem Herzen und in Erwartung des Abenteuers stockendem Atem rannte Trix zum Schreibtisch hinüber. Er steckte den Schlüssel ins Loch, was mühelos ging. Dann drehte er ihn – was genauso mühelos ging.
Bevor Trix die Lade herauszog, leckte er sich noch einmal über die trockenen Lippen. Schließlich wagte er es …
Die Schublade enthielt … nichts. Der kleine, ziemlich flache Kasten barg kein Geheimnis.
Trix wollte seinen Augen nicht trauen, zog die Lade aus dem Schreibtisch, drehte sie in der Hoffnung um, auf der Unterseite ein mit Pech angeklebtes Pergament vorzufinden, auf dem ein kraftvoller, alter Zauberspruch stünde. Danach klopfte er den Kasten von allen Seiten ab, denn womöglich hatte das Ding ja einen doppelten Boden. Oder doppelte Wände.
Nichts!
Bloß eine leere Lade!
»Das ist gemein!«, schrie Trix. »Geradezu unfair!«
Seine gesamte Lebenserfahrung plus jede Logik sagten ihm schließlich, dass ein Zauberlehrling, der sich am Abend eines Feiertages allein in einem Turm grämt und dann einen alten Schlüssel findet, auf etwas Wichtiges stößt. Auf eine Geheimtür. Ein Geheimversteck. Oder wenigstens auf eine Kiste mit Gold und Edelsteinen!
Aber nicht auf eine leere Lade!
Trix blies die Kerzen aus und ging mürrisch in die Küche.
Zum Abend hin hatte der Wind aufgefrischt, unter seinen Böen schwankte der Turm leicht hin und her. Trix hantierte in der Küche, um sich das Essen zuzubereiten.
Die Kartoffeln hatte er bereits geschält, jetzt bullerten sie fröhlich im kochenden Wasser. Gut, die Kartoffeln selbst empfanden vermutlich keine besondere Freude, doch die Menschen stimmte dieses Geräusch nun einmal heiter. Die Schweinskeule hatte er mit Knochblauchzehen und einer Mohrrübe gespickt, mit Salz und Pfeffer gewürzt, aufgespießt und übers Feuer gehängt. All das hob seine Laune ungemein. Hinzu kam ein Glas Wein, das er bereits geleert hatte.
Ein Zauberer konnte noch so arm sein, in seiner Speisekammer mochten die Mäuse barmen und in seinem Geldbeutel bloß ein paar der für Magier verbotenen Kupfermünzen klimpern, trotzdem würde er zwei Dinge immer auf Vorrat haben: Kaffee und Wein.
Ohne Kaffee brächte es ein Zauberer nämlich gar nicht fertig, am späten Morgen aufzuwachen, Trägheit und Schlaffheit zu überwinden, sich an den Schreibtisch zu setzen und den lieben langen Tag neue Zaubersprüche auszubrüten.
Abends bedurfte er dann des Weins, um nach des Tages Mühen zu entspannen, die Zauberspruchbrüterei zu vergessen und sanft in den Schlaf zu gleiten.
Würde er auch nur auf eine der beiden Komponenten verzichten, sänke sein Arbeitsvermögen rasch in den Keller, wandelte er nur als schluffiger, reizbarer und zu keinem klaren Zauber mehr fähiger Mann durch die Gegend.
Sicher, es gibt Gerüchte, einige große Magier der Vergangenheit hätten aus heiterem Himmel sowohl auf Kaffee wie auch auf Wein verzichtet und trotzdem ihre Zauber gewirkt. Dieser Gedanke ist jedoch derart abseitig, dass bis auf den heutigen Tag niemand auch nur versucht hat, das Experiment zu wiederholen.
Nun goss Trix sich einen weiteren halben Pokal Wein ein und nahm damit vorm Herd Platz, um von Zeit zu Zeit den Spieß zu drehen, auf dass die Keule gleichmäßig bräunte.
(In einigen Welten und Zeiten dürfte es wohl als unziemlich und tadelnswert gelten, wenn sich ein Junge von nicht einmal fünfzehn Jahren vor dem Essen ein Gläschen Wein genehmigt. Zu Trix’ Rechtfertigung – und auch zur Rechtfertigung der Welt, in der er lebte – seien daher drei Argumente angeführt: Wer je diesen Wein probiert hat, wäre erstaunt, wie leicht er ist. Wer je das Wasser dieser Welt getrunken hat, wäre erstaunt, wie der eigene Magen darauf reagiert. Und schließlich: Man nehme seinem fünfzehnjährigen Sohn doch einmal diese farbenfrohen Blechdosen mit seinen geliebten alkoholfreien Getränken weg und studiere aufmerksam
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