Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
Vom Netzwerk:
Spitze an Achilleus’ Kehle lag. Aber der seltsame Kampf wirkte sich für ihn aus: Die Männer des Keleos, ebenso wie die Söldner, die den großen Namen kannten, wenn sie auch den Mann nicht erkannt hatten, betrachteten den Assyrer mit einer gewissen Scheu: Ninurta, der mit Achilleus gekämpft und überlebt hat.
    Möglicherweise trug diese plötzliche Achtung zur guten Stimmung der nächsten Tage bei. Als Ninurta, Tashmetu und Tsanghar sich abends an eines der Feuer setzten, die die Söldner am Strand entzündeten, dauerte es nicht lange, bis die ersten von Keleos’ Insel-Achaiern sich zu ihnen gesellten. Ninurta sagte sich (und Tashmetu gab ihm recht), daß nach dem Abmarsch von Achilleus wahrscheinlich die Spannung zwischen Achaiern und Nicht-Achaiern ohnehin erschlafft wäre; fremde Waffenbrüder hätten sich bei Abendgeschichten am Feuer gefunden. Aber vielleicht wurde dies durch Ninurtas neues Ansehen gefördert. So teilten sie miteinander die Stunden, das Feuerholz, das einst Schiff gewesen war, Getreide, sauren Wein, tranige Möwen, streunende Hunde und was immer sonst das Land und die kargen Vorräte hergaben.
    Khanussu konnte wunderbare Geschichten erzählen, in denen meistens irgend etwas furchtbar schiefging. Geschichten über Pferde, zum Beispiel, die aus dem Gesträuch treten, hungrigen Männern die Brühe wegschlürfen und mit einem hämischen Wiehern ins Wasser galoppieren, wo sie Kiemen ausbilden und dann ertrinken, ehe sie lernen, die Kiemen zu benutzen. Geschichten über weiße Hirsche, die mit den Hufen hellen Stein zertreten, die Bröckchen mit den Zähnen zermalmen und nachts leuchten, wenn sie aus den Bergen im Inneren der Insel Shardania ans Ufer kommen, um zu trinken, denn die hellen Steine sind so schwer verdaulich, daß die Mägen der Tiere ohne Salzwasser die Kost nicht bewältigen können und bersten. Er habe dies oft gesehen, behauptete er, da er an der Bucht der Hirsche lebe, und überdies sei sein schönes Haus an dieser Bucht aus den wohlgeformten Steinen gebaut, die die Hirsche dort ausscheiden – biegsam und warm am Anfang, aber nach einiger Zeit (und Tränkung mit Wein) hart und wetterfest. Eine ganze Nacht lang erzählte Khanussu von einer wahnsinnigen Irrfahrt, die tollkühne Männer im Gedärm der Nacht unternahmen: Himmelsschiffer, aufgebrochen, um das gleißende Gold aus einem der drei Gürtelsterne des Großen Jägers zu holen. Ninurta vergaß den größten Teil der Erlebnisse – Wein, das Feuer, der fahle Morgen und das ungeheure Gelächter blieben ihm in Erinnerung. Geschichten von Augen waren dabei, aber auch von anderen Körperteilen – war nicht einer der Himmelsschiffer zerstückelt worden, als er leichtfertig die Handmühle eines Riesen für eine Höhle hielt und sich dort schlafen legte?
    Und die treuen Gefährten (weniger treu, wie sich herausstellte, als verzweifelt, denn der Zermahlene kannte als einziger den Rückweg) zogen zu all den seltsamen Völkern, die am Gastmahl des Riesen teilgenommen hatten, holten die Augen von einem Stamm einäugiger Frauen (drei Liebesnächte für ein Auge), den rechten Fuß von einem Stamm kleinwüchsiger Zehenanbeter, das Zeugungsglied… aber Ninurta wußte es nicht mehr, und als er Khanussu danach fragte, behauptete der lange Mann, bartzausende Geistermotten hätten ihm diesen Teil der Geschichte gestohlen, und er werde sich erst erinnern können, nachdem jemand – »ein Assyrer, zum Beispiel?« – die Motten mit Silber beschwichtigt habe.
    Die Schänke war nutzlos geworden, die Vorräte des Wirts waren erschöpft. Eines Morgens hatte sich der Mann davongemacht, wahrscheinlich zur Stadt; am Abend begannen sie, das Gebäude zu Brennholz zu machen. Nach ein paar Tagen wurden die Söldner rastlos; Ninurta nahm an, daß spätestens am nächsten Tag Tashmetu nicht mehr sicher wäre.
    »Hör zu, langer Mann«, sagte er; mit Khanussu war er ans Ende der Mole gegangen. Der Shardanier hatte Kiesel gesammelt und schleuderte sie nach Möwen.
    »Ich lausche. Ah, wieder eine!« Es war der fünfte Vogel; die auf dem Wasser der Bucht treibenden Möwenleichen lockten offenbar neugierige Artgenossen an.
    »Haben die Himmelsschiffer denn nun ihren Gefährten vollständig zusammensetzen können, und hat er ihnen, als er wieder lebte, den Rückweg gewiesen?«
    Khanussu riß die Augen auf. »Aber wäre ich denn sonst hier?« Er grinste und blickte über Ninurtas Schulter zu den beiden Söldnerschiffen, wo einige der Männer mit Holzeimern

Weitere Kostenlose Bücher