Troja
Gottes. Attis in Phrygien entmannt und tötet sich; Odin, dem Odin geopfert, Er selbst Sich selbst, hängt neun Nächte lang am Baum und wird von einer Lanze verwundet; Christus wird von den Römern gekreuzigt.
Vier Geschichten gibt es. In der Zeit, die uns bleibt, werden wir sie weiterhin erzählen und dabei verwandeln.
Jorge Luis Borges .
1. DIE IRRFAHRT DES ATHENERS
[589 v. C] An einem kalten klaren Frühlingsmittag brachte ihn ein Fischer zum Strand der Insel Salamis. Gemeinsam hievten sie das Gepäck aus dem Boot: drei schwere Kisten und einen Reisebeutel. Der Athener gab dem Fischer eine Drachme, zwei Drittel des vereinbarten Preises, und bat ihn, kurze Zeit bei den Kisten zu warten. Die attische Küste lag außer Sicht jenseits des Vorgebirges; Solon hatte nicht zurückgeblickt.
Er war fünfzig Jahre alt. Und er war nun frei. Für sein Volk hatte er Gedichte und Gesetze geschrieben, im Krieg gestritten und im Frieden gefochten, wie es ihm richtig und nötig erschien, ohne den Wünschen der Mächtigen zu erliegen oder dem Sehnen der Machtlosen nachzugeben: Grenzpfahl zwischen den Gruppen, gehetzter Wolf in der Mitte der Meute. Ein Jahr im höchsten Amt, dem des Archon; in diesem Jahr hatte er alle Schulden erlassen, Schuldknechtschaft kleiner Pächter und Schuldsklaverei abgeschafft, die Maße, Gewichte und Münzen neu geordnet, neue Gesetze für alle Lebensbereiche (Gerichte, Wähler, Ämter…) verfaßt, in jener achaischen Sprache, die hundert Jahre zuvor von Hesiodos und Homeros zu Klangfülle und Geschmeidigkeit gebracht worden war: Gesetze für das friedliche Zusammenleben der Stände, Abbild der Götterwelt des Hesiodos und der Heldenwelt des Homeros. Man schwor, all diese Gesetze zu befolgen, und man gab ihm Vollmacht als Schiedsmann, von allen geachtet und drei Jahre lang von allen bekämpft.
Vorbei. Er hatte alles niedergelegt, Briefe geschrieben, Antworten erhalten, seinen Besitz verkauft. Von den Feinden hatte er sich verabschiedet; die Freunde sollten ihn ungestört vermissen, was die Freundschaft mehrt und die Ferne nicht schändet.
Die drei Kisten des freien Händlers Solon enthielten Eisenbarren, Silberstangen und die seit seiner Amtszeit neu geprägten Silbermünzen, deren vorgeschriebenes Gewicht eine Verrechnung mit den Einheiten anderer Gegenden erlaubte und Athen endlich am Fernhandel teilnehmen ließ. Athen und ihn.
Auf dem Strand lagen kleine Fischerboote und ein bauchiges Frachtschiff; nicht weit davon, wie ein gestrandeter Wal, ein Kriegsruderer mit schadhaften Bronzeplatten und dichtem Bewuchs unter der Wasserlinie. Werkzeug, Bretter, Leitern, Bottiche, Schabsteine wie fortgeworfen daneben – Mittagsrast. Aus einem Kessel über dem niederbrennenden Feuer quoll der Ruch von heißem Pech.
Durch den Sand watete Solon hinauf zum Karrenweg. Jemand hatte dort einen Eimer mit Fischgekröse geleert; die Möwen zwischen den stinkenden Resten zerrten und zeterten und ließen sich nicht stören. Als er den Karrenweg erreichte, schüttelte er Sand aus den Sandalen und ging zum Ort.
Vor zehn Jahren hatte er Athens Krieg gegen Megara um Salamis angeführt. Mit jedem Schritt näherte er sich Erinnerungen und entfernte sich von der Bürde. Er atmete tief und roch und schmeckte Salz, Pech, faulen Fisch, Tauwerk und Abfälle, und in allem oder über allem die Verheißung von Weite und Freiheit.
In Salamis, Hauptstadt der Insel, schien sich nicht viel geändert zu haben. Das kaum zu einem Drittel ausgehobene Hafenbecken des Kriegs war verlandet, der in die Bucht getriebene Damm, an dem Kriegsruderer hatten anlegen können, zu albernen Inselchen verfallen. Der Ort selbst, ein Gewimmel heller Häuser, hatte wohl schon vor sechshundert Jahren so ausgesehen, als Aias von hier gen Troja zog.
Das Haus des Fernhändlers Polykles lag an der zweiten Straße, die vom Karrenweg krumm in den Ort streunte: Lehm und Pfützen. Aus einer Garküche hörte Solon tiefes Männerlachen; ein Duftschwall ließ seinen Magen knurren. Er durchquerte den mit tanzenden Steinen belegten Hof hinter der geschlämmten Mauer, zögerte kurz und ging dann ins Lager, ein Gebäude aus unbehauenen Steinen, Sparren und Schindeln. Polykles stand mit Wollmantel und gerunzelter Stirn zwischen Ballen, Kisten und Tongefäßen. Eben wischte er mit dem Ärmel Kreideschrift von einer Steintafel, die er in der Linken hielt. Als er Solons Schritte hörte, wandte er lediglich den Kopf.
»Ah, der edle Staatsmann. Da es gleich ein
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