Troja
einer wehrlosen Sache machen könnten) und die mächtigen Mauern, glatt und abweisend. Sie sahen die Unterstadt, westlich und südlich der Burg, von Mauern und Gräben umgeben, und auf den Mauern die Köpfe von Verteidigern oder, jetzt jedenfalls, müßigen Beobachtern. Tsanghar sah als erster die ausgeklügelten Tore, vor denen jeweils das nächste Mauerstück begann, wie eine Schuppe halb über der anderen liegt: Wer ein Tor erreichen wollte, mußte zwischen zwei Mauern hindurch und dann links abbiegen – unzugänglich für schwere Rammen, kaum angreifbar durch Wagen oder Belagerungstürme. Sie sahen, ehe sie zu nah herankamen, die flachen Dächer, auf denen die Bewohner Wäsche trockneten und Blumen oder, vielleicht, sogar Nährpflanzen zogen.
»Und das wollen die erobern?« sagte einer der Seeleute; er spuckte ins Wasser. »Dazu gehören mehr als zwanzigtausend Achaier, und bessere außerdem.«
Auch Ninurta sah keine Schwachstellen, nicht einmal dort, wo die Mauern nach Norden hin verlängert waren und das Simois-Ufer berührten. Nördlich des Flusses setzten sich die Verteidigungsanlagen fort und schützten die »Neustadt«, ein in den vergangenen zwei oder drei Jahrzehnten entstandenes, planlos verwinkeltes Gewirr aus Häusern aller vorstellbaren Formen und Baustoffe. Zwischen den Mauern, die den Fluß berührten, hing eine bronzene Sperrkette tief im Wasser; Torflügel aus dicken Bohlen, besetzt mit Bronzeplatten und Dornen, hingen in ehernen Angeln an den Mauern und würden, geschlossen, bis knapp über die Wasserfläche reichen. Auf den Ecktürmen waren Umrisse von Geräten zu sehen, die Ninurta für schwere Steinschleudern hielt. Zweifellos mußten feindliche Schiffer, die flußauf in die Stadt einzudringen versuchten, auch mit einem Hagel aus Speeren, Pfeilen, scharfkantigen Metallstücken und Glassplittern rechnen, wahrscheinlich auch mit erhitzten Flüssigkeiten. Und wenn es doch gelänge, hier einzudringen, wäre nicht viel gewonnen: Von der Unterstadt war das Hafenviertel durch weitere Mauern getrennt.
Am Südufer, unterhalb des steilen Burghangs, hatte man den Fluß erweitert, ein durch Pfosten und Flechtwerk gesichertes Hafenbecken angelegt und einen Kai aufgemauert, an dem Lagerhäuser, Wohngebäude und Ställe standen – vermutlich zur Zeit Unterkünfte für Krieger und Pferde. Das Becken war voll von Kähnen, Flußbooten, Frachtern; ähnlich voll wie der eigentliche Hafen, den die Achaier besetzt hielten.
Ninurta lenkte den Kahn zum Nordufer, zur Neustadt, die teils auf entwässertem Schwemmland, teils auf mühsam trokkengelegtem aufgeschütteten Sumpf gebaut war. Ungesund, wie es hieß – aber die alten Entwässerungskanäle außerhalb der Mauern waren trocken, soweit dies vom Fluß aus zu sehen war, und statt Sickerwasser enthielten sie spitze Pflöcke.
»Du solltest nicht…«, sagte Tashmetu, als der Kahn in etwas glitt, was eher eine Lagune als ein Becken war; hier war noch Platz zwischen anderen Schiffen und Kähnen, und auf dem Kai (gestampfter Lehm, mit Flanken aus Weidengeflecht) standen trojanische Kämpfer, oder bewaffnete Ordner. »Laß mich das machen.«
»Warum?«
»Willst du wirklich, daß Priamos von dir etwas erfährt, bevor du weißt, was er und der Herr von Ashur in dir versteckt haben?«
Ninurta nahm ihre Hand und drückte die Lippen in die Handfläche. »Was wäre ich ohne dich?«
»Ein Fisch«, sagte sie, »ohne Handkarre.«
Sie legten an. Tashmetu erhob sich, kletterte auf den Kai und ging den Ordnern entgegen.
»Tashmetu, Händlerin aus Ugarit, mit einer Ladung eiserner Waffen für die Verteidiger der Stadt. Gibt es Befehle? Zoll? Vorschriften?«
Einer der Männer schob den Kesselhelm in den Nacken.
»Vorschriften?« Er schien gleichzeitig ratlos und belustigt.
»Vorschriften, Fürstin des Handels, gibt es von hier bis Hattusha, oder von vorgestern bis nächstes Jahr, wenn du diese Form von Liste vorziehst. Aber über Waffen steht nichts darin – außer, daß wir sie benötigen.« Er wechselte ein paar leise Worte mit einem der anderen. »Der Kahn ist sicher; wir wachen Tag und Nacht. Und er wird ja ohne euch nicht wegschwimmen oder fliegen. Morgen wissen wir Genaueres.«
»Gibt es Unterkünfte?«
Der Mann lachte. »Unterkünfte? Drüben in der Stadt… in der richtigen Stadt kannst du keine Maus mehr unterbringen, aber hier?« Er zuckte mit den Schultern. »Die Hälfte der Bewohner ist geflohen; in einigen Häusern sind Kämpfer, Bundesgenossen. Es
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