Troja
Reihe um Reihe. Nach hartem Feilschen war es Ninurta gelungen, von Agamemnon Leukippes Bateia und alle noch im Hafen oder Lager befindlichen Mitglieder der Besatzung zu bekommen. Ruder und Segel sollten in der Bucht Keleos übergeben werden, und um Befehle zu übermitteln und »allzu großen Bewegungsdrang« zu vermindern (wie Odysseus es ausdrückte), würden einige Achaier mit einem Unterführer an Bord kommen. Die Krieger, unterstützt von einem Dutzend Sklaven und Gefangenen, begannen mit der umständlichen Verlegung von Schiffen, um die am Kai liegende Bateia bewegen zu können.
In den hohen Lagerhäusern am Hafen hatten die Achaier Nahrungsmittel untergebracht, ebenso in den unzerstörten Wohngebäuden dessen, was einmal eine Art Hafen-Vorstadt gewesen war. In einigen Häusern schliefen Fürsten und Führer mit ihrem Gefolge; die höchsten Befehlshaber zogen, wie Agamemnon, große Zelte den kleinen Räumen vor.
Die Söldner und Tsanghar (Odysseus verzichtete darauf, ihm die Augen verbinden zu lassen) schleppten ihre Dinge und die Erzeugnisse der Inselschmiede ins Lager. Ninurta und Khanussu gingen beiseite, um den Sold zu regeln. Fünfzig Männer für fünf Tage, ein shiqlu für je fünf Kämpfer – Ninurta setzte die kleine Waage zusammen, die zum Händlergepäck gehörte, und wog sechzig shiqlu ab, eine Mine.
»Großzügig, Herr.« Khanussu nahm das Metall entgegen und deutete eine Verneigung an. »Es war uns ein Vergnügen. Darf ich noch etwas bemerken?«
»Seit wann brauchst du dazu jemandes Erlaubnis?«
Der lange Shardanier grinste. »Fürwahr; seit wann? Es war nur ein Anfall von Höflichkeit – eine harmlose kleine Seuche, schon vorbei.« Er tippte mit dem Zeigefinger an Ninurtas Brust. »Du bist ein seltsamer Mann.«
»Das habe ich schon gehört. Mehrmals. Wieso?«
Vom Frauenpferch her hörten sie Schreie und grölendes Gelächter. Ninurta sah sich nach Tashmetu um. Sie stand mit Tsanghar und Odysseus in der Nähe von Agamemnons Zelt; ihre Miene war ausdruckslos.
»Deshalb, unter anderem.« Khanussu wies mit dem Kopf in die Richtung, aus der die Schreie kamen. »Hart gefeilscht hast du mit dem Achaier, Mann; ich hätte nie geglaubt, daß er dir das Schiff gibt und dich mit Waffen nach Troja gehen läßt. Aber… du bist zu weich, milder Ninurta. Die Frauen hier, dein Gesicht, der Junge… Warum wolltest du nicht, daß Odysseus ihn erwürgt? Es wäre einfacher. Für alle.«
»Wäre es, zweifellos. Manchmal erleide ich diese Anfälle von, wie du sagst, Weichheit. Kleine Seuchen, die vorübergehen.«
Khanussu nickte. »Ich dachte es mir – trotzdem: Warum?«
»Vielleicht habe ich zu viele, Frauen und Männer, zu früh und zu furchtbar sterben sehen. Und du, warum hast du mir geholfen, Odysseus am Würgen zu hindern?«
»Tja«, sagte der Shardanier. »Vielleicht aus dem gleichen Grund. Vielleicht, weil du angefangen hast und ich noch Sold von dir zu kriegen hatte. Such dir was aus.«
»Ich verzichte darauf; lassen wir es offen. Ich wünsche dir reiche Beute, Shardanier.«
Khanussus Hand umklammerte kurz Ninurtas rechten Unterarm. »Gute Geschäfte, Händler. Heile Haut. Und sieh zu, daß du aus der Stadt bist, wenn es richtig losgeht.«
»Ich will es versuchen.«
Khanussu wandte sich ab, blieb aber noch einmal stehen und sagte: »Wenn nicht, laß dich gefangennehmen, Assyrer. Wir machen keine Gefangenen, gewöhnlich, aber es gibt Ausnahmen.«
Ninurta klopfte ihm wortlos auf die Schulter.
Korinnos stand zwischen Tsanghar und Tashmetu, sichtlich bemüht, Odysseus nicht anzusehen. Der Fürst von Ithaka lachte plötzlich.
»Lächle, Korinnos Ilieus. Mögen dir viele Tage im Licht der Sonne beschieden sein. Willst du nicht deine Schriftrollen holen und mitnehmen? Sie müßten noch im Zelt des betrauerten Palamedes liegen.«
»Ich helfe dir«, sagte Tsanghar. Er nahm den Arm des Jungen. »Komm. Wo steht das Zelt?«
Ninurta sah hinter ihnen her; dann betrachtete er das Gesicht des Ithakers, als ob er es zum ersten Mal sähe. Das Gesicht eines Fünfunddreißigjährigen, mit hellem Bart, hellen Augen, fast ohne Falten. Ein harmloser, freundlicher Mann. Etwas um die Augen erzählte von sehr anderen Eigenschaften.
»Prüfst du die Schleifspuren, die Chronos mit seinen Holzschuhen in meinem Gesicht hinterlassen hat?« Odysseus lächelte.
»Ich suche nach den umgekehrten Prägungen der Tücke.«
»Umgekehrt?«
»Der Dämon der Tücke hat in der linken Hand einen Stempel und in der rechten
Weitere Kostenlose Bücher