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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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müßten viele Gebäude leerstehen. Hört euch um.«
     
    Die Neustadt bot mindestens zehntausend Menschen Platz; wie die Händler in den nächsten Tagen hörten, waren kaum mehr als sechstausend geblieben, einschließlich fremder Truppen.
    In den vergangenen Jahrzehnten hatten sich hier vor allem Fremdstämmige oder deren (gemischte) Nachkommen angesiedelt: Achaier, versprengte Mykeniernachfahren, Leute aus dem Masa-Land im Osten, Thraker, Paionen, Illyrier (oft ehemalige Söldner; ein paar Shardanier waren auch darunter), einzelne Libuer, Romet, Phrygier, Hatti-Flüchtlinge… Die »echten« Trojaner – Menschen mit hauptsächlich luwischen oder halbluwischen Vorfahren – hatten zu Beginn der Belagerung Zuflucht in der eigentlichen Stadt gesucht. Vermutlich gingen sie zu Recht davon aus, daß die Neustadt nach halbherziger Verteidigung im Fall einer langen Belagerung lieber die Tore öffnen als für Priamos und seine Söhne verbluten würde.
    Auf ihrem Weg zur Stadtmitte sahen sie Menschen mit heller und dunkler Haut; sie trugen den üblichen kitun aus dünnem Wollstoff oder Leinen, knöchellang oder bis zum Oberschenkel, kurze Ärmel, lange Ärmel, Verzierungen, bunte Säume. Andere trugen skythische Beinkleider, Tuchröhren bis zu den Füßen, darüber offene Jacken auf nackter Haut. Sie sahen Frauen mit und ohne Kopfputz (eine trug das lange glimmende Haar als Turm, mit Stützstreben aus Silberspangen und Zinnen aus steinüberkrustetem Silberdraht), sittsam verhüllte Mütter von irgendeinem Bergvolk, bei dem die Frauen nur Hände und Gesicht entblößt lassen durften, und Verweserinnen der Lust mit glatten Schenkeln, ockerfarbener Hüftschärpe und grünen und blauen Tüchern, die nur eine Brust verschlossen. Die Straße – »Gasse der Gedeihlichkeit« hieß sie – war mit unterschiedlich großen, vielfarbigen Steinen und Ziegeln gepflastert; vor den meist zweigeschossigen Häusern schützten teils von Holzsäulen getragene Dächer, teils gewölbte Bogengänge aus Mauerwerk die Händler und Handwerker, ihre Waren und Kunden vor Sonne oder Regen. Sie sahen eine alte Frau (die Augen hellblaue Seen im von Stürmen verwüsteten Brachland des Gesichts), die auf einem Tisch aus zwei Brettern und zwei Böcken grelle Baum und Strauchfrüchte feilbot, in den unglaublichsten Formen und Farben; nicht einmal der weitgereiste Ninurta konnte mehr als ein Drittel von ihnen benennen. Gegenüber, in einer rückwärts offenen, vom Licht eines Innenhofs durchspülten Werkstatt fertigte ein Mann mit Lederschurz und glatten Fingerkuppen feinsten Silberschmuck. Daneben ergoß sich ein Schwall fetter, beißender und rupfender Gerüche aus einem halbdunklen Laden, in dem eine fast nackte, schwitzende Frau Butter stampfte, umgeben von tausenderlei aufgetürmtem Käse: mit Weinlaub oder Bast umwickelt, mit Wachs beschichtet, kleine runde Laiber, große, flach, eckig, in allen Farben zwischen madigem Weiß und würgendem Grün.
    Immer wieder konnten sie Blicke in Innenhöfe werfen, wo Kinder spielten oder Hühner mit Milchziegen stritten. Hinter einer morschen, löchrigen Holztür sahen sie die Schätze eines Mannes, der mit Goldschmuck und kostbaren Steinen handelte. Ein paar Häuser weiter gab es eine angelehnte Tür aus wunderbar beschnitztem dunklen Holz; der Türsturz darüber, zweifellos älter als die ganze Neustadt, zeigte verschlungene Schriftzeichen unbekannter Herkunft und gräßliche Göttermasken – aber als Tsanghar hinter die angelehnte Tür spähte, sah er nur wertloses Gerümpel. Manchmal waren Dach oder Bogengang unterbrochen, dann stiegen von der Straße steile Treppen auf zu weichenden Obergeschossen, und alle oder fast alle Häuser schienen oben durch Leitern, Stege oder Gänge verbunden.
    In der Mitte des Gewirrs krummer Gassen lag ein Platz, den die Einwohner schlicht Hexagon nannten; sechs beinahe gerade Straßen (und etliche Sackgassen, Gäßchen, Hofzugänge) kamen dort zusammen. In den Ecken standen sechs alte Statuen aus verwittertem rostroten Stein, mitten auf dem Platz die siebte: kaum noch kenntliche Weihebilder für uralte Götter, mit leeren Augenhöhlen und abgeflachten Nasen. So alt, wie sie waren, mußten sie von weither mitgebracht und hier aufgestellt worden sein, auf gemauerten Sockeln. Zu Füßen der siebten, mittleren Statue hatte man einen Tiefbrunnen ausgehoben und mit halb mannshohem Mauerring versehen. Der Platz der sieben Götter , wie er auch genannt wurde, hieß nicht nur Hexagon,

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