Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
Vom Netzwerk:
zweiten Esel bei einem Wirt und Bauern zurück, bei dem in der Reisezeit die Karawanen rasteten: ein großes, umwalltes Gehöft mit Ställen, zwei Brunnen, Trögen und Feldern. Der Wirt, ein Mann mittleren Alters mit drei Frauen und zahllosen Kindern, gab ihnen dafür ein wenig Silber (Körner und Splitter, kaum mehr als zwei shiqlu ), ein Essen, Stroh für ein Nachtlager und einen Bogen mit Köcher und Pfeilen. Die Hatti, sagte er, seien im Herbst dagewesen und hätten bis auf zwei Ochsen alle Trag-, Reit und Zugtiere mitgenommen. Ninurta nahm an, daß der Mann von der ersten Frühjahrskarawane mindestens zwanzig shiqlu für den Esel bekommen würde; es gehörte zu den Unabänderlichkeiten des Gewerbes, daß jede Karawane auf der Reise mehr Tiere verlor, als man zu vernünftigen Preisen unterwegs neu beschaffen konnte.
    Lamashtu war abwechselnd munter und mürrisch, dumpf und lebhaft. Ninurta fand es schwierig, sich auf ihre Stimmungswechsel einzustellen; nach einiger Zeit stellte er die Versuche ein. An einem ihrer lichten Tage gab sie ein paar Auskünfte, die sein Verstehen mehrten, ohne die Fremdheit zu mindern. Sie rasteten im Windschatten eines Felsens, aßen in Schmelzwasser aufgequollene Körner und tranken Schnee. Sie hatten Feuerstein, Eisen und Zunder, aber in der verschneiten Einöde der Berge gab es kein Holz. Lamashtu sah ihn über den Rand des Bechers an, in dem sie durch die Wärme der Hände und häufiges Behauchen Schnee schmelzen wollte.
    »Eigentlich ist die Strecke gleich«, sagte sie, mit einem dünnen Lächeln, »aber trotzdem frage ich mich, ob du weiter von mir weg bist oder ich weiter von dir.«
    Ninurta blickte auf; über einem Felsgrat im Süden kreiste ein großer Raubvogel. Ein eng umrissenes Stück Freiheit im grenzenlosen hellblauen Kerker dort oben.
    »Auch bei innigster Nähe bleibt ein untastbarer Rest«, sagte er. »Worauf willst du hinaus?«
    Sie blies wieder in den Becher und schüttelte ihn sanft. Nach längerem Schweigen sprach sie weiter; sie klang ein wenig unsicher. »Wie soll ich es dir erklären? All die Jahre der Sklaverei… Dinge, die man nur übersteht, indem man sie geschehen läßt und vergißt. Wie ein Tier, weißt du? Es ist eine dumpfe Decke, die dich manchmal ersticken läßt, aber sie sorgt dafür, daß du Schläge und… anderes hinnimmst, als ob… als ob sie einen anderen treffen, nicht dich. Und je länger es dauert, desto dicker, dumpfer wird die Decke.« Sie zog das Messer und rührte mit der Klinge im Becher. »Aufregung, Veränderung, so etwas, das kann die Decke heben. Damals in dem Wald, als ich noch Sklavin war und der Überfall stattfand, als du verwundet wurdest, da hat sich die Decke ein wenig gehoben. Aber ich war noch zu dumpf, um an Kräuter zu denken – die Kräuter, die man mir gezeigt und erklärt hat, als ich klein war. Später… als Sklavin habe ich hin und wieder Kräuter benutzt. Selten, um Wunden zu heilen; meistens um Träume zu machen oder den Göttern zu opfern oder das Blut fließen zu lassen, wenn mein Mond sich rundete und trocken blieb.« Sie betrachtete die Klinge. »Scharfe Kräuter, schärfer als dies Messer. Meine Herren hatten Feinde; ich habe geholfen, sie zu beseitigen, mit Kräutern und Pilzen und Wurzeln. Kannst du dir vorstellen, daß ich jahrelang Kräuter und andere Pflanzen genutzt habe, um zu töten, zu verwirren, Wahnsinn zu erzeugen oder kränkliche Lust, aber nicht, um zu heilen? Ich wußte gar nicht mehr, daß Kräuter helfen statt schaden können. Damals habe ich dir in den Tagen danach Kräuter, die ich im Wald fand, in die Brühe getan; aber am ersten Abend war ich dumpf, nach langen Jahren, und Tsanghar und Adapa waren klüger.«
    Ninurta wartete; als sie nicht weiterredete, sagte er: »Die dumpfe Decke der Jahre – ist es das, was zwischendurch noch immer auf dir liegt?«
    »Ich bin nie so lebendig gewesen wie in den Stunden nach unserer Flucht in Tarkush. Aber dann hülle ich mich wieder in die Decke, oder sie umgibt mich. Es ist gut, mit dir zu gehen und zu liegen, Assyrer, aber… wenn wir je ans Ziel kommen, werde ich Ausschau halten nach einem, der auch Sklave war und diese Decke mit mir teilt.«
    Er streckte die Hand aus und berührte ihre Wange. »Du glaubst, daß du sie nie ablegen kannst?«
    »Du mußt mich nicht trösten, Herr der Karawane. Ich weiß nicht, ob ich ohne diese Decke sein kann.« Sie setzte ein verqueres Lächeln auf. »Wäre es nicht leichter, sich nicht um einander zu kümmern?

Weitere Kostenlose Bücher