Troja
ohne wirklich gute Aussicht auf Beute. Ich hätte es vorgezogen, wenn es denn sein muß, nach Westen zu fahren, das lange Tyrsa zu erobern und zu plündern, oder von mir aus im Süden die Libu-Länder auszupressen. Ich wollte nicht nach Troja, weil die Stadt mächtig ist; nicht aus Furcht, ihr Schönen, sondern aus… sagen wir: kluger Berechnung. Odysseus fürchtet sich nicht. Odysseus ist ein listiger Mann, wie man sagt, und ein guter Kämpfer. Odysseus kann aber auch rechnen, dazu lesen und schreiben – Dinge, die die meisten Achaier nicht beherrschen. Deshalb wußte Odysseus, daß die Heerfahrt gegen Ilios lang und blutig würde und daß ein furchtbarer Untergang ebenso wahrscheinlich war wie ein glänzender Sieg; am wahrscheinlichsten aber schien mir lange Plage, Schlamm, Dreck, Blut, Hunger, Durst, Krankheit, all dies. Nichts gegen eine nette kleine Plünderung mit Mord und Brand und Schänden; welcher Achaier wäre nicht sofort dabei? Aber das, was vor dem Plündern und Schänden lag, war so groß, so bedrohlich und so unerfreulich, daß es die sonstigen Aussichten verdüsterte. Deshalb.
7. DER WEG DURCH DEN WINTER
Zur Ausrüstung, die sie auf Buqars Befehl hin erhalten hatten, gehörten Umhänge aus Wolle, lederne Beinkleider, Fußlappen, geschlossene Schuhe mit rauhen Sohlen; ferner Vorratsbeutel, die sie an Riemen über der Schulter trugen, und eine fast viermal vier Schritte große, schwere Lederdecke, in die sie sich gemeinsam wickeln, in der sie einander Wärme geben konnten. Aber der Winter in den Bergen war hart.
Einmal saßen sie tagelang in einer Höhle, teilten ihre Vorräte mit den beiden Eseln und warteten auf das Ende eines Schneesturms; einen halben Schneemond verbrachten sie bei einer Sippe von Ziegenhirten, deren Gastlichkeit noch übertroffen wurde von ihrer Unreinlichkeit, welche gering war im Vergleich zu ihrer Habgier: Beim Aufbruch fehlte einer der Esel, und als Ninurta ihn suchen wollte, bedrohten ihn die Männer des Stamms mit Waffen.
Die küstennahen Wege schieden aus; überall, vor allem in den Häfen, gab es Hatti-Truppen. Man würde sie nicht suchen, aber ebenso gewiß würde man sie aufgreifen und dem Heer zuführen: mit Glück als Krieger und Heilerin, mit weniger Glück als Troßknecht und Kriegsdirne.
In Ura, gefangen, war es Ninurta erstrebenswert erschienen, zum Krieger zu werden und nach Alashia zu gelangen. In allen größeren Städten der Insel hatte er Geschäftsfreunde, und er hätte damit rechnen können, daß die Hatti den Krieger Ninurta und die Heilerin Lamashtu weniger streng bewachten als die Gefangenen. Wenn die Gerüchte stimmten, mußten die Hatti den Westen und Südwesten der Insel schon verloren haben, an die Krieger der vertriebenen Fürsten und ihre Bundesgenossen aus Ilios und Arzawa sowie an Söldner; an der westlichen Südküste lag auch Koriyo, wo sich die drei Schiffe treffen sollten. Koriyo mußte frei sein – wenn die Gerüchte stimmten; dort würden Yalussu , Kynara und Kerets Nutzen aufeinander warten, dort konnten die Besatzungen gute Nachrichten austauschen. In Koriyo kannte er drei Händler, die…
Aber es war müßig; der Herr der Festung hatte anders entschieden, und nun, nach der Flucht aus Tarsa/Tarkush, lockte das Hatti-Heer nicht mehr. Vor Beginn des Frühjahrs würde aus keinem Hafen ein Schiff nach Alashia segeln, und bis zum Frühjahr hoffte der Assyrer, die Küste nahe Roddu zu erreichen. Auch im Binnenland mußten sie die belebten Wege und Orte meiden. Überall gab es Hatti, überall (so hörten sie von den Bergmenschen, sofern eine Verständigung möglich war) lagen Truppen in Unterkünften für den Winter oder marschierten auf den Heerwegen weiter nach Westen oder Nordwesten, zur Grenze. Für den Assyrer und die Babilunierin blieben nur Bergpfade. Die Esel waren gutmütig, nicht störrisch wie so viele, aber sie waren auch arg nutzlos. Abgesehen von Waffen und Kleidung hatten Ninurta und Lamashtu nicht viel zu tragen, und für die geringen Vorräte brauchten sie keine zwei Lasttiere. Zum Reiten waren die Esel in den unwegsamen Landstrichen kaum zu gebrauchen; insgesamt schätzte Ninurta, daß von tausend Schritten, die sie zurücklegten, zehn auf den Rücken der Esel hätten bewältigt werden können.
Es war kein großer Verlust, als sie eines der Tiere bei den Ziegenhirten lassen mußten. Fünf Tage später, in einem Tal, das seitlich der großen Heer und Handelsstraße wie ein Wurm in die Berge kroch, ließen sie den
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