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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Schlacht erleben, dachte Ninurta. Nie war Lamashtu lebendiger, lebhafter und schöner gewesen.
    Plötzlich ertrug er es nicht mehr, ließ sie am Hang zurück und wanderte zum anderen Ende des Tals. Der kleine Bach, von der Quelle gespeist, versickerte dort zwischen Felsen.
    Ninurta erklomm den Wall aus Brocken, die wie absichtlich gefügt dort lagen; dann hielt er den Atem an.
    Tief unter ihm, auf dem Boden eines Kessels mit grünen Hängen, schaute das blaugrüne Auge eines freundlichen Gottes auf, ein klarer ruhiger See. Nicht der geringste Windhauch erregte die Oberfläche, auch kein Zu oder Abfluß. Beide mußten unterirdisch sein, dachte er – aber eigentlich dachte er nicht; er lag auf dem Felswall und fühlte sich hinabgleiten in die Ruhe, die das Blau des wolkenlosen Winterhimmels besaß und das Grün der Hänge, hier und da bunte Pflanzentupfer, alle Farben ineinander und vermengt und dennoch getrennt und lebendig. Es war kostbar und kräftigend, und wenn er lange hineinblickte, würde der Schattendrache ertrinken und sich nie wieder regen.
    Dann kniete Lamashtu neben ihm. »Was ich suche, wächst hier nicht«, sagte sie.
    Ninurta schwieg, noch immer sinkend, versunken.
    Sie bewegte sich, den Arm, scharrte; er sah es kaum und hörte nur undeutlich. Plötzlich schleuderte sie einen Stein. Das Götterauge barst, splitterte, wallte auf. Ninurtas Körper war wieder schwer, kein Gleiten oder Treiben; fast mußte er mit Tränen kämpfen.
    »Hast du keine Angst, durch einen solchen Steinwurf ein Ungeheuer zu wecken, das vielleicht in so einem See schläft?« sagte er.
    Lamashtu preßte die Lippen zusammen. »Vielleicht will ich genau das erreichen.«
     
    Am nächsten Tag verließen sie die Berge – für eine Wegstrekke, die nicht länger sein konnte als ein Marschtag. Hier, wo die Länder Kilikku und Pitassa ineinander übergingen, hatte sich eine Ebene zwischen die Berge geschoben. Fruchtbares Land, bewohnt von Bauern und durchstreift von Haiti. Vielleicht wurde im Norden gekämpft, oder der Winter (mild im Tal) hatte die Kämpfe unterbrochen. Was trotzdem bedeuten würde, daß überaus wachsame Kriegertrupps im Flachland unterwegs wären.
    Sie warteten zwischen den letzten Hügeln, bis die Sonne sank. In der Dunkelheit gelang es ihnen, einen Teil des ebenen Bauernlands hinter sich zu bringen. Bei Sonnenaufgang erreichten sie einen kleinen Wald, in dem sie den Tag verbrachten und abwechselnd wachten. In der folgenden Nacht kamen sie wieder in die kalten Berge, die sich nach Westen hinzogen.
    Dann rundete sich Lamashtus Mond, blieb aber trocken. In der Winterwelt fand sie keine Kräuter, oder jedenfalls nicht die, die sie suchte. Immer wieder unterbrachen sie das Steigen und Klettern und Rutschen und Laufen, um auf einer eisigen Bergwiese, am Fuß eines schneebedeckten Hangs oder in Krüppelwäldchen zu suchen, zu wühlen, zu graben.
    »Abgesehen von einigen Pflanzen, die hier offenbar gar nicht wachsen, sind zwei oder drei Arten von Blumenknollen am wirksamsten«, sagte Lamashtu abends, nachdem sie zuerst geklettert waren und dann bis zur Erschöpfung gesucht hatten.
    »Wie lange hilft das Kraut?«
    »Je früher, desto besser. Später braucht man stärkere Mischungen, und… es ist unerfreulich.« Sie gähnte. »Aber wozu willst du das wissen?«
    Ninurta starrte in den hellen Himmel, in dem der nahezu volle Mond ein prachtvoller Stein war, gefaßt in das mindere Geschmeide der Sterne. Hoch, eisig und unendlich gleichgültig gegenüber allem, was auf dem Boden geschah. Nicht zum ersten Mal bezweifelte der Assyrer, daß die Sternseher recht hatten. Wie konnte etwas, das vielleicht eine Sammlung von Göttern war, vielleicht brennende Himmelsschiffe, auch nur den geringsten Anteil nehmen an den Wechselfällen der Menschen? Und wie ungeheuer groß müßte ihr Hang zu den Menschen sein, wenn diese eisigen, fernen Feuer im Gedärm der Nacht sich die Mühe gäben, so nebeneinander zu flackern, daß ihre Abfolge denen da unten etwas sagen konnte, was mehr Bedeutung hatte als das Gewicht eines Sandkorns?
    »Wozu willst du das wissen, Herr?« wiederholte sie.
    »Ich will alles wissen – fast alles.« Ninurta rieb sich die Augen. Er war müde, hatte aber das Gefühl, daß dies eine jener Nächte wurde, in denen etwas in seinem Kopf durch beharrliches Kreiseln den übrigen Leib vom Schlummer abhielt. »Habe ich dir nie gesagt, daß wir, ich meine die Händler von Yalussu, auch mit Heilkräutern und Mischungen

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