Trojanische Pferde
Gedankenverloren ließ er die Jahre Revue passieren, dann:
Ah, da ist sie.
Er schnippte die Asche von seiner Zigarre und erhob sich. Das schwarzhaarige Mädchen betrat die Terrasse und setzte sich unter einen Schirm, eine große runde Sonnenbrille vor dem Gesicht. Gebräunte Haut, Sandalen, ein blauer Bikini, der unter einem weißen Baumwollstrandkleidchen hervorlugte, das kaum den Hintern bedeckte – einen sehr ansehnlichen Hintern übrigens.
Gut
, dachte Sasha, als der schmuddelige Amerikaner sich erhob. Ohne auch nur den Versuch zu machen, nonchalant zu erscheinen,kam er mit freudigem Lächeln auf sie zugeschlendert, als läge ihm etwas besonders Albernes auf den Lippen wie »So sieht man sich wieder« oder dergleichen. Dann stand er vor ihrem Tisch. So übel sah er gar nicht aus, wenn man über die zerknitterten, ausgebeulten Klamotten hinwegsah. Die sandfarbenen Haare waren so adrett, als hätte er sich gerade fürs Highschool-Jahrbuch fotografieren lassen, und die blauen Augen dermaßen blau, dass man sich fast fragte, ob sie echt waren. Er war schätzungsweise eins fünfundachtzig groß und hatte breite, athletische Schultern, die selbst das schlabbrige Hemd nicht verbergen konnte. Er schien etwa Mitte dreißig zu sein.
»Hi«, sagte er. »Ich bin Tom Goddard. Wir sind uns schon auf der einen oder anderen Party begegnet.«
»Begegnet« trifft es nicht ganz. Du hast mich beobachtet. Beziehungsweise meine Gespräche belauscht.
»Ja, ich erkenne Sie. Ich erinnere mich, dass Sie und Nigel kürzlich ein sehr lebhaftes Gespräch auf der
Christina
geführt haben.« Sie nahm die Brille ab, um zugänglich zu erscheinen und sicherzugehen, dass er sich auch zu ihr setzte. Ja klar, sie würde ihn einladen, mit ihr zu lunchen.
»Sind Sie allein?«, fragte er.
»Nicht, wenn Sie mir Gesellschaft leisten.« Er zog sich einen Stuhl zurück und nahm Platz. »Ich bin Sasha.« Sie hielt ihm die Hand zum Schütteln hin. Dabei musterte sie eingehend seine Augen. Sie waren wirklich unfassbar blau, und hätte sie nicht schon so viele Augen in ihrem Leben gesehen und nicht eben dieses Leben geführt, dann wäre sie möglicherweise versucht gewesen, ihm ihr Herz auszuschütten. »Einer von den reichen Müßiggängern hier in Nizza oder nur auf Besuch?«, fragte Sasha. Nicht übertrieben beiläufig, er sollte schon merken, dass sie eine Absicht verfolgte, alles andere wäre Zeitverschwendung. Außerdem hatte er sich immerhin an ihren Tisch bemüht, sicherlich verfolgte er seinerseits Absichten, und sie bezweifelte, dass sie romantischer oder erotischer Art waren. Schließlich hatte er sie mit Ibrahim zusammen gesehen, wusste über ihre Beziehung Bescheid.
Er kicherte wie einer, der darin nicht sehr geübt ist. »Weder noch. Ich bin geschäftlich hier.« Sie konnte sich vorstellen, dass die meisten Frauen ihn recht attraktiv finden würden.
»Das überrascht mich. Schien für mich so, als wären Sie in Ihrem Element, bei den Partys, meine ich. Letztens habe ich Ihren Freund Nigel auf der
Staid Matron
kennengelernt. Sie habe ich dort auch gesehen. Was genau führen Sie beide eigentlich im Schilde?«
Er zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Ich weiß nicht, was Sie meinen. Ich habe Nigel selbst erst dieses Jahr kennengelernt.«
Oh, jetzt komm schon.
Dieser Mann konnte etwas anstrengend sein. Sie sah ihn skeptisch an, aber entweder merkte er es nicht oder er stellte sich dumm. »Tatsächlich? Ich habe Sie beide doch schon den ganzen Sommer lang beobachtet, wie Sie intensive Gespräche geführt haben. Hatte manchmal was geradezu Konspiratives an sich.«
»Oh, das. Wir teilen gewisse politische Ansichten.«
Politik. Genau.
»Nach meiner Unterhaltung mit Nigel würde ich vermuten, dass Sie etwas mit der Situation in Saudi-Arabien zu tun haben.«
»Das könnte man wohl sagen. Das fällt sowieso in mein Gebiet.«
»Oh?« Ja, er wurde wirklich langsam anstrengend. Selbst wenn er etwas durchsickern ließ, kam es immer nur tröpfchenweise. Was wollte er denn nun?
»Außenministerium. US-Botschaft in Riad.«
Sasha gestattete sich ein Grinsen und achtete darauf, dass er es auch sah.
Jetzt hab ich dich. Von wegen, nur zufällig hier in der Gegend. Waschechte Spione seid ihr, du und Nigel.
»Ich wusste nicht, dass Angestellte des Außenministeriums sich Urlaube auf Privatjachten in Nizza leisten können.«
Er wiederholte das ungeübte Kichern. »Ich bin im besonderen Auftrag des Außenministeriums tätig.«
»Oh?«
Kann ich mir
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