Trojanische Pferde
Und dann ist alles explodiert. Und das ist noch lange nicht alles. O Gott«, fuhr sie mit erstickter Stimme fort, »man ist hinter mir her, die ganze Zeit schon. Viele Jahre. Religiöse Eiferer, Fanatiker. Ich habe mich irgendwie durchgeschlagen. Gelegenheitsjobs. Und auch, wie du sicherlich befürchtet hast, Spionage.«
Daniel wurde wieder vom Gefühl des Fallens ergriffen, immer tiefer in die Grube hinein, die sich beim Betreten der Wohnung vor ihm aufgetan hatte. Und es war noch kein Grund abzusehen. »Das ist alles so vage.« Wer war »man«? Und was bedeutete »alles ist explodiert«?
»Bitte, stell keine weiteren Fragen. Du würdest nichts mit mir zu tun haben wollen, wenn du alles wüsstest. Lass mir wenigstens meine Würde.«
»Hör auf. Sofort.«
»Ich muss gehen. Ich packe meine Taschen und bin weg.«
»Nein, ich lass dich nicht gehen. Schon gar nicht, wenn du in Gefahr bist. Du bleibst schön hier. Wir klären dieses Problem gemeinsam!« Daniel bemerkte den gebieterischen Ton in seiner Stimme. Was konnte sie, fragte er sich, wohl Schreckliches getan haben, dass er, wenn er davon wüsste, nichts mehr mit ihr würde zu tun haben wollen? Die Frage war, wie man ihre Situation in den Griff kriegen konnte. Zuerst mal musste er natürlich herausfinden, worum genau es ging. Zumindest die richtigen Fragen formulieren. Einen Schritt nach dem anderen.
»Du kannst es nicht klären!« Sie rückte mit dem Gesicht dicht an ihn heran, und er konnte die Hoffnungslosigkeit in ihren Augen erkennen. »Du kannst nur weglaufen. Immerzu. Diese Leute sind wahnsinnig.«
»Ich sagte, wir klären das.« Daniel spürte den Schock der Dringlichkeit. »Aber der erste Schritt ist der, dass du mir die ganze Wahrheit sagen musst. Wer bist du und was geht hier vor?«
Sie warf die Arme um ihn. »O Gott, halt mich einfach fest.«
VIERTES BUCH
KAPITEL 23
A UGUST, VOR EINUNDZWANZIG J AHREN . N IZZA , F RANKREICH .
Tom Goddard hatte sich im Stile eines Jay Gatsby selbst erfunden, schon vor Jahren, auf einer Fahrt mit dem Greyhound-Bus von Troy, Michigan, nach New York City. Der Gedanke daran entlockte Tom ein Lächeln. Aus seiner Sicht machte ihn das zum ultimativen Spion: Sogar seine Vergangenheit war ausgedacht. Er ging noch weiter zurück in seiner Biografie, um Zeit totzuschlagen, darin war er gut, denn das machte er die ganze Zeit. Es gab jede Menge Zeit totzuschlagen. Polizisten auf Observation aßen haufenweise Donuts; Tom dachte nach. Rauchte Zigarren. Dachte über Politik nach, zum Beispiel darüber, warum die al-Mujari-Deppen, die er in Nizza im Visier hatte, das taten, was sie taten. Er hatte Abdul und Waleed hier aufgespürt und beobachtete jetzt, wie sie sich mit Ibrahim gemein zu machen versuchten, hatte aber im Grunde noch nichts herausgefunden, was ihm nicht schon vor zwei Monaten, bei seiner Ankunft, bekannt gewesen wäre: Eine Gruppe von muslimischen Fundamentalisten mit terroristischen Verbindungen schürte Opposition unter den Saudis, und das alles garte im Schnellkochtopf der stetig wachsenden Kluft zwischen der königlichen Herrscherschicht und dem kleinen Durchschnittssaudi. Über derlei Dinge dachte er also nach, rauchte seine Zigarren dazu und hielt die Augen offen.
Im Moment wartete er auf seine Zielperson, das schwarzhaarige Mädchen. Sicherlich würde sie ihn sehen, wenn sie rauskam, und sich gleich denken, dass er nach ihr suchte. Aus seinen Gesprächen mit Nigel und aus denen, die er letztens mitgehört hatte, wusste er,dass sie nicht dumm war. Und sie war einigermaßen reif. Er musste nur sehen, ob er sie dazu bringen konnte, sich zu öffnen. Er saß auf der Terrasse des »Wellenbrecher«, dem Restaurant im Hotel Baron David de Duval. Es war der üblich strahlende Tag in Nizza. In der Luft lag süßer Blumenduft und der eher herbe Geruch von mediterraner Erde und trockener Vegetation. Eine kühle Brise strich über den Hügel, auf dem das Baron David lag, und milderte die drückende mittsommerliche Mittelmeerhitze. Ein paar wenige Gäste bevölkerten die Terrasse. Gläserklirren und das Klappern von Besteck verrieten, dass die Kellner dabei waren, die Tische fürs Mittagessen einzudecken.
Er sah einen Mann von etwa Mitte fünfzig mit seidenem Hawaiihemd, hellbraunen, am Hintern durchhängenden Hosen und geschmacklosen gelochten Schuhen, der mit einer langbeinigen Brünetten am Arm an einen der Tische trat. Für eine halbe Sekunde dachte er, es sei das schwarzhaarige Mädchen. Die Frau war vielleicht
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