Trojanische Pferde
CO2-Löscher!«
Eine Stunde später stand Daniel in seinem Esszimmer und starrte trübsinnig auf den großen Teppichschaumklecks, den ersoeben auf den Orientteppich gesprüht hatte.
Was jetzt?
Er wandte sich zur Küchentür, durch die Lydia verschwunden war.
War irgendwas von all dem real oder habe ich nur geträumt?
Jetzt spürte er ihn, den gleichen seelenzerreißenden Schmerz, der ihn nach Angies Tod gepackt hatte. Dieses Gefühl, das ihm noch vor wenigen Wochen, beim Essen mit Brenda im Raoul’s, so unendlich fern erschienen war. Die Last auf der Brust, verbunden mit der Empfindung, an jedem Arm und jedem Bein fünf Kilo Extralast mit sich herumzuschleppen, war schlimmer, als er es in Erinnerung hatte, nicht zuletzt wohl auch, weil er sich so lächerlich vorkam – wie konnte er sich so sehr mit jemandem einlassen, über den er, wie ihm jetzt überdeutlich vor Augen stand, nicht das Geringste wusste?
Er sah zu, wie der Schaum in den Teppich einsank. Sein unfehlbarer Lenkkreisel hatte ihn unerwartet im Stich gelassen, das Frühwarnsystems seines Magens hatte versagt – woran lag das?
Er schloss die Augen, versuchte vorübergehend zu vergessen, wo er war, während sein Bewusstsein beherrscht wurde von der Tatsache, dass ihm ein Basketball im Hals zu stecken schien, der das Atmen erheblich erschwerte. Gequält atmete er aus.
Wie konnte ich so etwas geschehen lassen?
Er versuchte die Frage laut auszusprechen, musste feststellen, dass es nicht ging. Er wartete, bis er seine Kehle wieder unter Kontrolle hatte. »Lydia, wer bist du?«, sagte er schließlich zu dem leeren Haus.
J ULI, LAUFENDES J AHR . M ILFORD , P ENNSYLVANIA .
Lydia erreichte das gleich außerhalb des Ortes gelegene Gästehaus Black Walnut.
Wie dämlich
, schimpfte sie mit sich selbst.
Hätte vorsichtiger sein sollen.
Sie warf ihre Reisetasche aufs Bett und packte ihr Notebook aus. Sie wurde weniger von der Eile, ihre Nachricht loszuwerden, angetrieben als von dem Bedürfnis, ihrer nervösen Energie Auslauf zu verschaffen. Sobald der Computer hochgefahren war, setzte sie ihre Kommunikationssoftware in Betrieb und loggte sich in denAccount an der Universität von Genf ein, den sie in dieser Woche benutzte, um ihre Nachrichten zu hinterlegen.
PROBLEME. BRAUCHE RAT. KOMME PERSÖNLICH, UM ZU REDEN.
LYDIA
Sie verschlüsselte die Nachricht, legte sie im Account ab und loggte sich aus. Sie trat vor den Spiegel. Ihre Augen waren rot.
Kein Wunder.
Ihre Kehle war zugeschnürt, seit sie in das Taxi gestiegen war. Tränen begannen ihr über die Wangen zu laufen.
ZWEITES BUCH
KAPITEL 9
J UNI, NEUNUNDZWANZIG J AHRE FRÜHER . V EVEY , S CHWEIZ
. »Diese Berge sind spektakulär«, sagte Sandra Chase, während sie aus dem Fenster des Mercedes blickte. Die schwarze Stretchlimousine arbeitete sich die gewundene, anderthalb Kilometer lange Auffahrt zum Chateau der Komtess Del Mira hinauf. Hoch aufragende immergrüne Bäume, tadellos instand gehaltene Steinmauern und Straßenlaternen säumten die Auffahrt und befeuerten die Erwartungen der Besucher, die sich dem Gipfel näherten. »Wie geht es Christina? Ich habe sie noch nicht gesehen, seit sie aus Indien zurück ist. Wie lang ist das jetzt her?«
»Zwei Monate«, erwiderte Ophelia. »
Vier Jahre
hat sie in diesem lachhaften Ashram verbracht. Aber jetzt geht’s ihr besser als je zuvor. Obwohl ich immer noch nicht begreife, was um alles in der Welt eine waschechte italienische Gräfin – sie ist eine Del Mira, um Himmels willen – geritten haben mag, alles aufzugeben und Erleuchtung im Ashram eines Swami Kripananda zu suchen?«
»Na, erstens hat sie mitnichten irgendetwas aufgegeben. Es ist ja alles hübsch in der Schweiz geblieben und hat auf sie gewartet. Und zweitens: warum nicht?« Sandra übernahm Ophelias sarkastischen Tonfall. »Ich meine, was ist schon daran auszusetzen, dass eine reiche, exzentrische Europäerin – die von vielen, dich eingeschlossen, als Abenteurerin bezeichnet wird – den Lehren eines Gurus lauscht in einer Zeit, in der viele Menschen offen für solche Dinge sind – selbst reiche, exzentrische und abenteuerlustige Europäerinnen?«
»Hör mal, Sandra, ich bin weiß Gott auch für jeden guten Jux zu haben, aber das ging doch wohl ein bisschen zu weit.«
»Vielleicht haben ihre Gefühle für Sasha eine Rolle gespielt.«
»Hat sie sie eigentlich adoptiert?« Ophelia fixierte Sandra mit einem vorwurfsvollen Blick, der nach Antwort verlangte. »Niemand weiß ja
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