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Trojanische Pferde

Trojanische Pferde

Titel: Trojanische Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lender
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Jedenfalls ist sie verändert.
    »An Sasha erinnerst du dich sicherlich.« Die Komtess legte beide Hände auf die Schultern des prächtigen Kindes. »Sasha, das ist meine alte Freundin Sandra Chase. Sie hat uns einmal in Indien besucht.« Es war, stellte Sandra fest, ohne Zweifel noch immer das gleiche Kind, das damals in nimmermüder Aktivität durch den Ashram gewirbelt war. Es hatte feurige schwarze Augen und glatte schwarze Haare. Die Mundwinkel waren zum schalkhaften Grinsen einer Zehnjährigen nach oben gebogen.
    »Freut mich, dich wiederzusehen, Sasha.«
    Sasha schürzte die Lippen. »Gleichfalls.«

    Sasha ging vom Speiseraum in die Bibliothek, wo zwanzig Gäste auf die an das Dessert anschließende Abendunterhaltung warteten: Heute wollte sie wieder eine Geschichte vorspielen, eine Wiederaufführung für all jene, die sie noch nicht kannten.
    Sie sah die Komtess inmitten der Zuschauer, lächelnd und vergnügt. Ihr Champagnerglas war niemals leer, und das Rascheln ihres seidenen, hellgrünen Abendkleids beherrschte den Raum im Zusammenspiel mit ihrer kehligen Stimme, während sie sich, immer um das Wohl ihrer Gäste bemüht, von einem zum anderen bewegte und Artigkeiten verteilte.
    Als Sasha zu ihrem Platz vor dem Kamin ging, bemerkte sie, dass die Komtess sich neben Prinz Jassar gesetzt hatte. Er war einer von Sashas Lieblingsgästen, weil er immer ruhig und sanft mit ihr sprach. Nicht so wie die anderen, die sie immer von oben herab behandelten, als wäre sie noch ein kleines Kind. Jassar hörte ihr zu, nahm das, was sie sagte, ernst und gab nur dann Ratschläge, wenn sie ihn darum bat.
    Sasha stellte sich, ihrem Publikum zugewandt, in Position. Als sie Prinz Jassars Blick auffing, lächelte sie. Christina nickte ihr zu, und Sasha begann ihre Erzählung aufzuführen, in der sie alle Rollen selbst spielte.
    »Parvati, Gattin des Gottes Shiva, fühlte sich einsam, wie sie so in ihrem Palast saß, der getrennt war von dem Palast ihres Gatten Shiva. Und sie wünschte sich so sehr einen Sohn, nachdem sie und Shiva viele Jahre, viele Jahrhunderte lang vergeblich versucht hatten, ein Kind zur Welt zu bringen.
    Parvati ging zum Ufer eines Flusses in der Nähe ihres Palasts und formte aus Lehm die Gestalt eines wunderschönen Jungen. Sie blies ihren Atem auf die Gestalt, hauchte ihr die Essenz ihres Lebens ein und erweckte damit den Jungen zum Leben. Mit der Zeit wuchs er heran, sie spielten und hatten viel Vergnügen miteinander, und er war ihr ein ausgezeichneter und liebevoller Gefährte.« Sasha stellte die Erschaffung des Jungen aus Lehm dar, dann lief und sprang sie vor dem Publikum hin und her.
    Ihre Erzählung fortsetzend, berichtete sie, wie Parvati den Jungen bat, auf ihren Palast achtzugeben, während sie ein Bad nahm, und wie er sodann Shiva den Zutritt verweigerte, als dieser von der Jagd zurückkehrte. Ein heftiger Streit entbrannte daraufhin zwischen dem Jungen und dem Gott. Auf dramatische Weise stellte sie dar, wie Shiva schließlich »Genug!« rief, sein Schwert zog und dem Jungen den Kopf vom Leibe trennte.
    An diesem Punkt der Erzählung angelangt, musterte Sasha ihr Publikum. Alle schenkten ihr ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
    Im weiteren Verlauf zeigte sie, wie Parvati aus ihrem Bad trat und den enthaupteten Jungen sowie das Blut an Shivas Schwerterblickte. Sie verwandelte sich in Parvati: »Warum kann ich nicht ungestört und in Ruhe baden? Warum musstest du Einlass begehren? Warum musstest du den Jungen töten?«
    Daraufhin als Shiva: »Ich habe das Recht dazu. Ich bin Shiva, der Gebieter, und wenn ich dich zu besuchen wünsche, so werde ich kommen und gehen, wie es mir beliebt!«
    Sie stellte den großen Krieg zwischen Parvati und Shiva dar, der nun ausbrach, demonstrierte das Abschießen zahlreicher Pfeile, das Stechen und Hauen vieler Schwerter.
    Dann ließ Sasha den Kopf hängen und stand mit gebeugten Knien und schlaff herabhängenden Armen da wie ein besiegter Krieger, mochte er auch noch so tapfer sein, und demonstrierte so den Erwachsenen, wie Shiva schließlich seine Niederlage im Kampf mit Parvatis Armee eingestand.
    Als Parvati sagte sie: »Und nun sollst du, um mein Recht auf Unabhängigkeit, mein Recht auf Wiedergutmachung anzuerkennen, meinen Sohn wieder zum Leben erwecken.«
    Und als Shiva sagte sie zu seinen Dienern: »Geht und bringt mir den Kopf des ersten Lebewesens, das ihr schlafend mit dem Kopf Richtung Norden findet.«
    Sasha verwandelte sich in die Diener, die Ausschau

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