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Trojanische Pferde

Trojanische Pferde

Titel: Trojanische Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lender
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genau, wie sie überhaupt zu dem Kind gekommen ist.«
    »Ich habe keine Ahnung. Aber es heißt, Christina sei ins Ashram gegangen, damit das Mädchen in einer Atmosphäre der Spiritualität aufwächst.«
    »Und das ist etwas, das Christina selbst ganz und gar nicht gewährleisten kann!«, lachte Ophelia. »Aber egal. Ihre Partys sind extravaganter denn eh und je. Allein die Motti immer!«
    Livinia Duke stimmte gurrend zu. »Letzten Monat war das Thema ›Ein Abend in der Oper‹. Sie hatte die Kulissen von La Bohème und ein zwanzigköpfiges Orchester in ihrer Bibliothek. Und Pavarotti hat gesungen.«
    »Hmm«, sagte Sandra. »Ich dachte, sie hätte sich verändert.«
    »Oh, das hat sie durchaus«, sagte Ophelia. »Du musst dir nur mal ihre ›Lehren‹ anhören, was für eine Albernheit. Ich bin sicher, dass Christina keine Ahnung hat, wovon sie spricht, wenn sie sich über Brahman auslässt, die angeblich höchste Realität, eigenschaftslos, nicht manifest, unendlich, unveränderlich, allwissend, all dies und all das, alles durchdringend …« Ihre Stimme wurde von Gelächter erstickt. »Einmal hat sie mir erklärt, dieses Brahman hätte die materiell-dingliche Welt nur so zum Spaß erschaffen, als Zeitvertreib.«
    Livinia zuckte die Achseln. »Na, das mit dem Spaß hat sie sich jedenfalls von ihm abgeguckt, denn sie zeigt sich weiß Gott sehr empfänglich für die flüchtigen Befriedigungen der materiellen Welt.«
    »Ja«, bestätigte Ophelia. »In Indien hat sie gelernt, sich dauerhafter an ihnen zu erfreuen als je zuvor.«
    »Und Sasha?«, fragte Sandra.
    Ophelia ergriff Sandras Unterarm. »Oh! Die reine Freude. Sie ist wirklich etwas Besonderes, ein schönes und geistreiches Kind.«
    »Christina geht mit ihr gar nicht wie mit einer Tochter oder einer Abhängigen um, sondern eher wie mit einer Gleichgestellten.«
    »Wie mit einer Mitverschwörerin«, sagte Ophelia.
    »Einer Mitverführerin«, ergänzte Livinia. »Und sie denken sich exquisite Unterhaltungsprogramme aus. Schlagen die Leute gemeinsam in ihren Bann.«
    »Das überrascht mich«, sagte Sandra. »Ich hatte gehört, Christina sei ruhiger geworden und sie hätte irgendwie etwas Entrücktes, nicht wahr, so ein Leuchten in den Augen.«
    »Also wirklich, Darling, das wäre doch eine komische Vorstellung, dass eine Frau, die den Unterschied zwischen einem 1949er und einem 1957er Domaine de la Romanee-Conti Richeburg schmecken und sage und schreibe mit der Zunge einen Knoten in einen Kirschstängel machen kann, plötzlich den wahren Sinn des Lebens entdeckt hätte.«
    Der Wagen erreichte das Ende der Auffahrt. Der Ausblick auf die in üppigem Grün prangenden Berghänge enttäuschte nicht. Genauso wenig wie die Prachtfülle des Bauwerks aus dem fünfzehnten Jahrhundert, das majestätisch auf dem Berg thronte und nicht nur auf den Genfer See und den Ort Vevey hinabblickte, sondern weit darüber hinaus. Eine Pracht auf eintausendvierhundert Quadratmetern, von dicken Kalksteinblöcken umgrenzt und muskulösen Eichenstämmen gestützt. Sandra überlegte, dass es eine beachtliche Aufgabe gewesen sein musste, das Chateau mitsamt den hundertsechzig Hektar umfassenden Außenanlagen in Schuss zu halten, während die Komtess in Indien weilte. Wohl dem freilich, der dabei auf eine fünfundzwanzigköpfige Hausdienerschaft zurückgreifen kann.
    Zwei Angehörige dieser Dienerschaft eilten herbei, um die Wagentüren zu öffnen und die Gäste in die für die Jahreszeit ungewöhnliche, aber überaus angenehme Abendkühle hinaussteigen zu lassen. Sandra sah Christina unter einem strahlenden Kronleuchter in der Mitte der Eingangshalle stehen. Sie sprach zu einem Kind, zweifellos Sasha, das sich sichtlich bemühte, seine Tränen zurückzuhalten. »Beraube dich nicht deines Schmerzes, Kind«, sagte dieKomtess. »Das gehört alles zur Ekstase des Lebendigseins.« Das Kind hob das Kinn und verbiss sich die Tränen dennoch. Die drei Frauen betraten das Haus unter dem hellen Geklimpere ihres Schmucks. Ein leichter Weihrauchduft lag in der Luft.
    »Sandra, Darling, wie lange ist es her«, flüsterte die Komtess, während sie sich gegenseitig auf beide Wangen küssten. »Wirklich, wirklich schön, dich wiederzusehen.«
    Sandra trat, um sie genauer zu begutachten, einen Schritt zurück. Die Komtess stand in ihrer charakteristischen Haltung, den rechten Arm quer über den Bauch gelegt, in der Linken eine Zigarette haltend.
Aber da ist tatsächlich ein Leuchten in den Augen. Ganz fein.

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