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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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Zwischenstation in Odessa unbedingt erforderlich. Mehr wert als die Fracht, die er mit sich führte, waren ihm die drei neuen Passagiere, die einander nicht persönlich kannten und die – jeder für sich – gute Gründe hatten, die See- und Handelsstadt am schwarzen Meer schleunigst zu verlassen. Ein Wertpapierhändler aus dem Bankhaus Aschkenasy, ein Künstler aus dem Sanzenbacher Zirkus und ein bleicher, verängstigter Knabe, der von einem verschlagen aussehenden Mann mit asiatischen Gesichtszügen an den Kai gebracht worden war. Die beiden erwachsenen Reisenden hatten für ihre diskrete Überfahrt ein Vermögen ausgeben müssen. Der Knabe allein, ohne für die Fahrt eine einzige Kopeke zu verwenden, hatte mit der Fürsprache des düsteren Herrn am Kai für die Passage nach Genua bezahlt, die allerdings dem Portugiesen, der ein kluger Mann war, mehr galt als die fünftausend Rubel, die jene beiden Herren zusammen erübrigen mußten. Denn diese Summe hatte eine geringere Blendkraft als der Ruf des Herrn am Kai. Der Kapitän war von diesem Mann, dessen maskenhaft wirkende Gesichtszüge stets von einer gleichmütigen, fast herablassenden Freundlichkeit sprachen, darüber hinaus ermahnt worden, auf den Jungen und seine zwei Seekisten nicht weniger sorgfältig aufzupassen als etwa auf ein Mitglied der Zarenfamilie. Wenngleich, räumte der Mann scherzhaft ein, der Zar selbst kaum in der Lage sein würde, ein Abweichen von dieser Pflicht so grausam zu bestrafen, wie er es zu tun gedächte. Der Herr mit den asiatischen Gesichtszügen, der einen hellblauen Frack und eine gelbseidene Weste zu grauen Hosen und Stulpenstiefeln trug, zwinkerte fröhlich mit den Augen, während er sprach, und klopfte mit seinem Spazierstock, den ein goldener Affenkopf zierte, dazu im Takt auf den Boden. Der Portugiese ließ seine Augen unruhig zwischen seinem Auftraggeber und dem jugendlichen Passagier hin- und herwandern, um seine Angst nicht zu zeigen. Er war fasziniert von dem grotesken Unterschied in den Physiognomien der beiden, zwischen welchen, ihrer Herkunft und ihrer Moral nach, Welten liegen mußten, wenn man dem Augenschein trauen durfte. Der Kapitän hatte sich als eine reine, nicht unhöflich gemeinte Vorsichtsmaßnahme mit seinem zweiten Steuermann und Proviantmeister, dem Schiffszimmermann und ein paar Matrosen umgeben, den kräftigsten und hartgesottensten Mitgliedern seiner Mannschaft. Aber während der auffällig gekleidete Herr eine brillantbesetzte Taschenuhr hervorzog, die er nur kurz musterte, um anschließend mit blitzenden Zähnen in die Sonne zu lächeln, die in den letzten Minuten über den Meeresboulevard und das Denkmal des Herzogs Richelieu gewandert war, dessen herrisches Starren die wenigen Wolken verscheucht haben mußte, so daß nun die Oberstadt, ebenso wie die mächtige Treppenflucht aus graugrünem Sandstein, die hinab zum Meer führte, und auch der Kai, an dem verhandelt wurde, in gleißendes Licht getaucht waren, währenddessen also drehte der Portugiese sich kurz zu seinen Männern mit ihren tätowierten Armen und vernarbten Visagen um und mußte erkennen, daß sie alle vor Angst schlotterten.
       Dann tat er, rein instinktiv, etwas, woran der schmaläugige Herr am Kai erkannte, daß der Kapitän, trotz seiner in Fachkreisen bekannten Neigung zu Durchstecherei und Menschenschmuggel, ein Mann war, der schon aus Gutmütigkeit ein so verletzliches Geschöpf wie den Knaben mit größtem Respekt behandeln würde. Der Kapitän legte dem Jungen, der, schon seitdem er aus dem knallroten Delaunay-Belleville gestiegen war, wie ein Leidender ausgesehen hatte und wohl nur, um nicht als Schwächling zu gelten, seine Haltung bewahrte, die Hand auf die Schultern und sagte:
       »Mir fällt der Abschied von dieser Stadt jedesmal so schwer wie dir, mein Junge. So sehr, daß ich heulen könnte. Als Seemann kenne ich viele Häfen. Ich habe eine Frau und zwei Jungen in Cherson und eine Geliebte mit einem Töchterchen, süß wie Korinthen, in Patras. Aber immer, wenn ich hier die Anker lichte und den Perlenschimmer sehe, der oben auf der Stadt liegt, über den Häusern, die wie ein Schwarm Möwen, wie leuchtende Wolken, am Horizont stehen, kommen mir die Tränen. Das sage ich dir, weil ich sehe, daß du diese Stadt so sehr liebst wie ich.«
       Und wirklich, Moisei Wolfowitsch Winnizkij, der die Menschen kannte, verschränkte jetzt mit einer etwas gelasseneren, wenn auch ebenso berechneten Geste die Arme auf dem

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