Trojaspiel
macht. Ich fand das Buch in der ererbten Bibliothek meines Vaters, was bedeutet, daß er es nicht gelesen hat, aber mein Großvater, und daß T. L. es nicht gebraucht hat, er muß ein blendender Schüler gewesen sein.
Das Labyrinth, sagt der deutsche Professor, fast entschuldigend, während er erstaunt auf seine Hand blickt, die jene Karte noch immer nicht freigeben will, obwohl ich sie bereits wieder zwischen Daumen und Zeigefinger halte, schützt den, der es betritt, vor der Welt und trennt ihn von ihr. So zeigt auch das abgebildete Bodenmosaik in Ostia südwestlich von Rom, im Palazzo Imperiale, ein Labyrinth umgeben von Mauern und Schutztürmen, einer Wehranlage, Sinnbild für jene Bitte der Menschen: Beschütze meine Stadt, mein Haus, mein Leben.
Die von Gras und Efeu überwucherte Trümmerlandschaft war einmal eine Stadt mit hunderttausend Einwohnern. Hier gab es ein Theater, Marktplätze, die Sprachen sämtlicher Mittelmeerkulturen waren dort zu hören, riesige Kornspeicher, Wein und Ölmagazine, Handelshöfe, ganze Ladenstraßen mit Fisch- und Lebensmittelgeschäften, öffentliche Bäder und Bordelle, prächtige Villen und mehrstöckige Mietskasernen, Schenken, Gasthäuser, luxuriöse Latrinen und außerdem Tempel für jede der vielen Religionen, die unter den Handwerkern und Arbeitern, den freigelassenen Sklaven, den Beamten, See- und Kaufleuten, den Reedern vertreten war, persische, phrygische und ägyptische Gottheiten wurden genauso verehrt wie die einheimischen.
Jetzt zirpten hier Zikaden, Hunde und Katzen lagen verträumt in der Sonne, nur hier und dort fand sich eine wandermüde Schulklasse oder ein paar vereinzelte Herren im Anzug, die ihre Geschäftspartner vom nahen Flughafen abgeholt hatten, um sie inmitten der diskreten Anmut von Marmor-, Travertin- und Gußmörtelresten für bedeutende Abschlüsse weichzuklopfen.
Draußen am alten Hafen Roms, den wir mit Metro und Bus erreichen, hat Zacharias trotz meiner Bemühungen seinen Humor verloren. So friedlich und grillenzirpend uns das weitläufige Ruinenpanorama empfängt, in dem sich jetzt die Überreste menschlicher Besiedlung mit Schirmpinien, Bärenklau und Oleander zu einer beschaulichen Illustration der Vergänglichkeit vereinigt haben, sowenig läßt ihn als hartnäckigen Städter die Ahnung ungerührt, daß jeder Zivilisation, auch derjenigen, in deren Untergeschoß er gewöhnlich haust, dieses Ende als Ausgrabungsfund beschieden ist, wenn die Zeitachse nur weit genug abgeschritten ist.
Die Frage, in welcher Weise seine Stadt einmal ihr Ende findet und wer oder ob überhaupt jemand durch ihre Reste spazieren wird, beschäftigt den Professor, er murmelt kaum Verständliches vor sich hin.
Im Palazzo Imperiale stehen wir schließlich vor Holzplanken, die das Labyrinthmosaik, dessen Bild die vorletzte Karte des Baumeisters schmückt, sorgfältig abdecken. Der Wächter am Eingang erliegt Lauras Charme, die Exotik der Mini-Gruppe, die seinen Holzschemel umringt und in drei verschiedenen Tonlagen auf ihn einredet, überwiegt den Respekt, den der junge Mann, der das Hemd aufgeknöpft und den Krawattenknoten lässig über dem Brustbein trägt, für sein Tagesgeschäft hegt. Laura, unbefangen in ihrer Neugier, legt den Kopf schief, um festzustellen, ob der merkwürdig dreinschauende Bursche einen Silberblick hat, aber Paolo, der jetzt eine Zigarette anzündet, legt das anders aus und schlägt uns dreien für später den Besuch einer Eisdiele vor.
Als er den grauen Holzaufsatz von der Stelle löst, an der sich das Labyrinth verbirgt, und seine tatsächlich nicht parallel blickenden Augen ermunternd in verschiedene Richtungen zwinkern, halten Laura, die wieder meine Hand umklammert, und ich den Atem an. Zack steht lauernd abseits. Wir alle erwarten so etwas wie eine Botschaft, diesmal. Warum soll nur Mahgourian Signale und Belohnungen empfangen? Wir warten auf einen Wegweiser, aber da ist nichts, nur im Zentrum des Gitternetzes aus schwarzen und weißen Marmorwürfeln, auf der Karte war das nicht zu erkennen, ein Leuchtturm, der strenggenommen kein Wegweiser ist, sondern nur Havarien vorbeugen soll, Reisende schützen, die, noch auf hoher See, die Küste schon im Blick haben und doch Gefahr laufen, an Felsen zu zerschellen.
Laura nimmt mir die Postkarte aus der Hand und dreht sie um.
»Von was für einem Spiel ist da die Rede?«
In ihren Augen lese ich für einen flüchtigen Moment die
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