Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
Vom Netzwerk:
Meeresgrund liegen. Unser Glück also, er scheint unsinkbar zu sein.«
       Der Knabe kannte Männer wie den Hageren zur Genüge, sie spielten Billard in den Cafés der Griechischen Straße und tranken nachts billigen Wein in den Kneipen rund um den Alexanderplatz. Es waren in der Regel Angestellte mit gutem Gehalt, die meist aufgrund von Protektion, einer gewissen Bildung und ihrer Redegabe in gute Positionen gelangt waren. Das Studium hatten solche Herren auch oft abgeschlossen, von einer reichen einsamen Witwe oder umschmeichelten Verwandten unterstützt. Ihre Studentenabenteuer, die Anzahl ihrer Liebschaften in Paris oder Göttingen waren denn auch ihre Lieblingsthemen. Huren verprügelten sie, statt sie zu bezahlen, und jemanden, der diese Kavaliere für das annahm, als was sie sich ausgaben, verachteten sie insgeheim. Sie scheuten die Verantwortung großer Aufgaben, und deswegen brachten sie es nie zu einem eigenen Geschäft. Den Bankiers, den Fabrikanten und Großhändlern, denen sie dienten, neideten sie ihren Reichtum und ihren Einfluß in den politischen Gremien der Stadt, ihr Ansehen, das auf ehrlichem Respekt beruhte. Und sie verfluchten sie für die beträchtlichen Summen, die sie nicht selten wohltätigen Zielen und Einrichtungen spendeten. Männer wie der Grieche redeten immer ein wenig zu viel und zu laut, waren immer zu schnell mit einem Urteil über jeden Sachverhalt und jeden Menschen zur Hand. Und wenn sie entdecken mußten, daß die letzte Stufe der Leiter erklommen war oder gar redlichere Kräfte ihre Stellung einnehmen sollten, dann waren sie für jeden Skandal gut, Unterschlagung, sogar Raub oder Mord, um ihr unverdientes Schicksal wieder ins Lot zu setzen. Sie endeten nicht selten im Gefängnis, in der Verbannung oder als von Gaunern erpreßte Flüchtlinge, von der Polizei durch das Reich gehetzt, mit Perücke und falschem Namen – oder sie flohen auf einem Schiff ins Ausland.
       »Ich glaube, ich kenne Ihr Bild aus der Zeitung, junger Mann«, sagte der Hagere im überlegenem Ton, während er scheinbar desinteressiert eine Pfeife zu stopfen begann. Der Knabe antwortete nicht, ihm fiel jedoch auf, daß die Augen des Mannes gegenüber sich unter seiner fliehenden Stirn und den buschigen Augenbrauen zu Schlitzen verengten. Sein blühendes Trinkergesicht war dabei noch ein wenig röter geworden.
       »Das Rauchen stört doch nicht? Liegt ja nicht jedem. Aber warum soll ich von meinen Angewohnheiten lassen, die doch fast meine einzigen Freuden in unserer schönen Stadt waren. Nur daß man auf den Schiffen keine Frauen findet. Haha. Deswegen trinke ich also noch mehr, und die Pfeife stopf ich bis zum Rand. Wußten Sie, daß noch bis vor kurzem unsere prächtige Stadt abseits vom strengen Auge Petersburgs von vielen allein deswegen als Wohnsitz gewählt wurde, weil sie hier ungestört rauchen konnten, in aller Öffentlichkeit? Nicht nur die Dichter waren bei uns immer freier, nein. Zar Nicolai I. hat Bürger, die beim Rauchen auf der Straße erwischt wurden, auspeitschen lassen. Nur in unserer Stadt nicht. Das nenn ich mal eine staatsmännische Geste! Die Bordelle in Petersburg sind teuer, weil der ganze Hof sich unter dem heutigen Nicolai so sehr langweilt, daß man ausschließlich mit Prostituierten und starkem Cognac Erleichterung findet. Ein Mädchen in Petersburg ist nach fünf Jahren geschäftlicher Tätigkeit so abgenutzt wie ein Zigeunerdiwan und alt wie ein Drache. Aber sie hat Geld, wenn sie es nicht versoffen oder jugendlichen Liebhabern oder den leidenden Geschwisterchen zugesteckt hat, wenn sie mit anderen Worten also klug ist.«
       Der Blick des Hageren verschleierte sich kurz, er wirkte auf einmal verstimmt.
       Asruni beobachtete ihn feindselig. Der Knabe dachte an ein Mädchen, das er gekannt hatte, eine Freundin für kurze Zeit, und er wurde rot, er schämte sich vor ihr, die er niemals wiedersehen würde. Das Amulett, das er auf der Brust trug, war ihr letztes Geschenk gewesen. Das einzige Schmuckstück, vor dem er jemals Respekt besessen hatte. Er schämte sich für die Gesellschaft, in die er hier geraten war und über die das Mädchen nur gelacht hätte. Früher wäre er einfach aufgestanden und gegangen, denn Männer wie diesen hatte er oft reden hören und nie zu Ende reden lassen. Aber jetzt fehlte ihm die Kraft aufzustehen. Es war wohl eine der leichteren Prüfungen auf dem langen Weg, der jetzt vor ihm lag. Er rieb sich gedankenverloren die Augen, die zu

Weitere Kostenlose Bücher