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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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Rücken. Den Stock, in dessen Inneren sich ein Degen aus Damaszenerstahl befand, hielt er dabei endlich ruhig, denn er war vollständig überzeugt davon, daß er den richtigen Mann ausgesucht hatte, um den Knaben, der seinen Tränen nun freien Lauf ließ, worüber keiner der Anwesenden eine Miene verzog, diesen Jungen, der seinen kläglichen Blick jetzt auf den stämmigen Begleiter gerichtet hatte, in Sicherheit zu bringen.
       Als seine Augen schon längst wieder trocken waren, lehnte der Junge noch immer an der Reling, und dankte, obwohl er sie sonst kaum schätzte, der Sonne, weil sie ihm noch immer klar und einprägsam die schmaler werdende Küstenlinie zeigte, von der die Stadt ein letztes Lebewohl schickte. Weiß und glänzend erhob sie sich über den Voronzovschen Leuchtturm schwebend am Himmel, wie eine unwirkliche Luftspiegelung, eine Erscheinung, von der er sich wie von seinem bisherigen Leben zu lösen hatte, für immer, das ahnte er, als wäre alles nur ein Spuk seiner Einbildung gewesen.
       Während der Überfahrt hielt es ihn zumeist nicht in seiner komfortablen Kajüte im Achterschiff, in der es nach Leinöl und Schiffspech roch und die prächtiger war als viele Zimmer, die er in den vierzehn Jahren seines Lebens gesehen hatte. Denn solange der Boden unter ihm schwankte und wankte, ertrug er es nicht – es wunderte ihn selbst –, auf das Licht und den blanken Himmel über sich verzichten zu müssen. Mit den derben Mitgliedern der Mannschaft gab es nichts zu bereden, und der Kapitän, der ihn am Tage ein dutzendmal nach seinem Wohlergehen fragte und fast enttäuscht wirkte, wenn er nichts für ihn tun konnte, gab sich alle Mühe, die beiden anderen Reisenden, die sich bis zum Ablegen als Matrosen verkleidet im Kabelgatt versteckt hatten, von ihm fernzuhalten. Erst als die Nautilus etwa zwanzig Meilen zurückgelegt hatte und an Steuerbord der Strand von Zatoka vorbeizog, traten die beiden herausgeputzt und beschwingt vom vorläufigen Gelingen ihres Abenteuers an Deck. Sie tranken brüderlich aus einer silbernen Taschenflasche, schienen sich aber alle paar Minuten in die Haare zu geraten, wobei der größere und geckenhaft wirkende Angestellte des Bankhauses Aschkenasy lautstark auf den schwerfälligen Artisten einredete, was dieser mit düsteren Blicken und vor der Brust verschränkten Armen quittierte. Einen Tag später, die Nautilus befand sich bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von acht Knoten etwa neunzig Seemeilen östlich von der Hafenstadt Warna, begann Sturm aufzuziehen. Der Kapitän war von seinen Pflichten als Gastgeber abgelenkt, und so unternahm einer der beiden erwachsenen Passagiere, die zuletzt neugierig um den scheuen Jüngling herumgestrichen waren, obwohl sie sich untereinander endgültig zerstritten hatten, den Versuch, ihn auszuhorchen. Der Kapitän hatte die Messe mit einer Ermahnung verlassen. Die Gesundheit des Jungen sei angegriffen, und da außerdem die Lage aller der Diskretion bedürfe, sei es ohne Zweifel besser, sich über Puschkin oder seinetwegen den Getreidepreis zu unterhalten als über private Dinge.
       Während Asruni, der beleibte ehemalige Angestellte des Sanzenbacher Zirkus nur ungehalten in seinen Bart brummte, tat der hagere Grieche beleidigt und bat sich blasiert etwas mehr Respekt gegenüber Passagieren aus, die in der Lage waren, fünftausend Rubel für eine wenig luxuriöse Reise auf einem Frachtsegler aufzubringen. Der Kapitän warf dem ehemaligen Finanzexperten einen scharfen Blick zu, dann fuhr er zusammen, als hätte ihn ein plötzlicher unwillkommener Gedanke überrascht, und sah mit fast leidendem, um Entschuldigung bittenden Gesichtsausdruck hinüber zu dem Jungen, der die beiden Männer am Tisch bislang nur mit flüchtigen Blicken bedacht hatte. Der Portugiese zischte schließlich einen kurzen Fluch und machte sich auf den Weg an Deck.
       »Soll sich nur nicht so aufführen«, raunte der Hagere Asruni zu, »ich kenne den Prinzipal von Fiserovic und Zusmann. Der Portugiese hat zwei Schiffe im schwarzen Meer versenkt. Einschließlich der Ladung ein Gegenwert von ein paar hunderttausend Rubel. Ins Unwetter geraten. Havarien also – Versicherungsfälle. Für fast alle Beteiligten natürlich ein Gewinn. Allerdings ist es immer dasselbe Schiff gewesen, das unterging, sogar dieselbe Mannschaft. Neue Farbe, neuer Name, die gleiche Reederei. So läßt sich Geld verdienen. Es ist dieser Kahn hier. Er sollte eigentlich schon zweimal auf dem

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