Trojaspiel
Lehrerausbildung absolviert. Er konnte jedoch in Mischkas Augen allein schon aufgrund seiner Manieren als vorbildlich gelten. Weil der Buchhalter zwar ein humorvoller, vielsprachig gebildeter Gentleman, aber kein Lehrer war, hielt er es gelegentlich für seine Pflicht, Mischka eben darauf hinzuweisen.
Der König jedoch blieb einmal getroffenen Entscheidungen treu.
Theo vertiefte sich ersatzweise weiter selbständig in die Bücher, bildete sich sonst ausschließlich in Höhlenforschung weiter und leistete damit einer gewissen Einseitigkeit seiner Entwicklung Vorschub.
Mischka hatte den Bankrepräsentanten anläßlich eines Opernbesuchs kennengelernt, unmittelbar nachdem de Boulande infolge des Bankrotts seines Arbeitgebers außer wohltätigen Verpflichtungen weiter keinen Auftrag besaß, aber Geld benötigte, ohne das auch abseits von Petersburg ein zivilisiertes Leben nicht zu führen war. Nach einer Bekanntschaft von nur wenigen Monaten, in denen Japonchik mehrfach finanziell ausgeholfen und auch den rabiaten Würgegriff eines Wucherers abgestellt hatte, machte er dem Franzosen rundheraus ein Angebot, führte deutlich die Folgen von Verrat oder Betrug vor Augen, war aber seit nunmehr zehn Jahren nicht enttäuscht worden. De Boulande oder Bulanov betreute seither Mischkas Bücher – und wußte allerlei Geheimnisse über ihn. Belanglose, wie seinen Frauengeschmack, seine Lieblingslokale und – wenn ein Räuber so etwas haben kann – seine großen und kleinen Laster. Er kannte aber auch gehaltvollere Daten, wie Art und Umfang seines Vermögens, die tatsächliche Stärke der mit zwanzigtausend Mann naturgemäß zu phantasievoll bezifferten Armee. Er kannte alle Spitzel und Zulieferer und die geschmierten Amt- und Würdenträger.
Nur die Zahl der Leichen im Keller und auf der Straße kannte er nicht und wollte er, wie Theo, nicht wissen. Er war zu fein oder zu sensibel dazu und fand dafür bei Mischka Verständnis.
Während jener Unterredung im Monte Carlo platzte ein abgerissener Dieb in das Séparée, drückte mit Gesicht und Worten flehentliche Bitten aus, wurde aber von Krasnoglaz, der zu schwerfällig reagiert hatte, am Kragen gepackt und zurückgerissen. Mischka schickte Theos Leibwächter einen strafenden Blick und machte gleichzeitig eine lockende Bewegung mit dem Zeigefinger. Mützenknetend wie ehemals Zipperstein trat der Besucher dankbar vor, sprach von Krankheit, Geldnot und Pfändung und wollte Kredit.
»Wer bist du?« fragte Mischka, »ich kenne dich nicht.«
Und auch Krasnoglaz und Gelfermann wollten sich nicht erinnern, und vermutlich wäre es auch dem abwesenden Herrn Bruchstein schwergefallen, denn Leibovits, der Bittsteller, war als Dieb für das Japonchik-Unternehmen schon lange nicht mehr in Erscheinung getreten. Mischka ließ sich sanftmütig von Leibovits den Zeitpunkt des letzten Zusammentreffens nennen, das lange zurücklag. Bulanov zog sich mit seinem Aktenkoffer, der Aufzeichnungen über solche Zusammenkünfte enthielt, zurück. Er fand den Namen des Bittstellers nicht, blätterte sein Archiv chronologisch durch, sah mit über sechzig nicht mehr wie ein Adler, brauchte zuviel Zeit. Mischka schickte Theo, der auch blätterte, sich an die kleine verstellte Schrift gewöhnte, ein paar lachhafte Codes entziffern mußte, sich einprägte, weiterblätterte, schließlich Leibovits fand und seinen Lehrer durch ein Flüstern auf seinen Fund hinwies.
Bulanov zündete sich eine Zigarette an, rieb die Augen und setzte sich neben Mischka, während Krasnoglaz Theo mit Handbewegungen Zeichen machte, die besagen wollten, daß er auch mit einem Auge wohl schneller als der Buchhalter gewesen wäre. Der Bittsteller wurde erneut vorgelassen, und Bulanov las mit dem Lächeln des Börsenvereins.
»Ariel Leibovits:
Eine goldene Uhr
Eine versilberte Brosche mit bunten Steinen
Eine Haarspange, Schildpatt
Ein Schal mit Monogramm: G. H., Seide
Am 14. September 1909
35 Rubel ausbezahlt
Kein Kredit gewährt.«
Der Buchhalter hob den Kopf und fügte lächelnd eine Formel hinzu, die in Schriftform nicht vorlag.
»Gelesen und genehmigt von Mischka Japonchik, König der Moldavanka.«
»Du bist nicht gerade das, was ich einen fleißigen Dieb nennen würde, Leibovits«, sagte die Stentorstimme.
Der Angesprochene gab kleinlaut zu, zwischenzeitlich als Docker im Hafen gearbeitet zu haben.
»Es geht, wie
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