Trojaspiel
fand sein Gedächtnis entlastet, hatte wichtige, aber die Übersicht verhindernde Details in Theos Kopf ausgelagert und doch die Größe seines Imperiums bis hin zum Brieftascheninhalt seiner Mitarbeiter jederzeit vor Augen. Japonchik, dem nichts peinlich war, den Dinge nur störten wie jene Ameisen, die er Birnbaum geschildert hatte, fand nichts dabei, sich mit einem halbwüchsigen Knaben in der Öffentlichkeit zu zeigen. Es paßte zu seinem aufgefrischten Profil, nicht Bruchstein oder gar Krasnoglaz in seiner Nähe zu haben, denen der Beruf das Gesicht und die Fäuste gekerbt hatte. Hätte Theo einen weniger speziellen Aufgabenbereich innegehabt oder gar eine Position besetzen wollen, an die nach all den blutigen Schlachten Mischkas frühere Begleiter ihre Räuberwürde gebunden sahen, wäre es dem König vermutlich schwerer gefallen, den unleidlichen Gelfermann und seinen Kollegen Bruchstein und all die bis zu Blut und Tränen rührenden Kollegen auf ihre neuen Plätze zu verweisen. Theo mußte sich mit niemandem messen. Nicht der ins Glied zurücktretende Räuber, sondern derjenige, der sich durch die Konkurrenz eines Dreizehnjährigen verunsichern ließ, machte sich lächerlich.
Während der König mit Theo im Robina dinierte, drehten seine Soldaten also Däumchen, statt Mischkas neues Profil zu blamieren. Sie schlürften zwar keinen Champagner mehr mit dem Boß, saßen dafür aber länger als früher im neuen Delaunay-Belleville, wenn sie wollten, hupten hier und da eine stolze Odessitin an und ließen sich von Theos Herold Krasnoglaz das Lied eines ›verteufelt gescheiten Wunderknaben‹ singen, der die Unterwelt beherrschte und Frauen oberhalb die Köpfe wenden ließ.
Ja, auch das gefiel Mischka an Theo. Da fiel ein Glanz von Grazie auf ihn, von Jugend und weißblonder Unschuld, nur zu vergleichen mit den begehrlich bis gierigen Blicken, die ihn hinter den Scheiben seiner prachtvollen Automobile erreichten und den Räuber in eine höhere Sphäre trugen.
Im Robina , diesem in ganz Rußland unerreichten Ort kostspieliger Lebensbejahung, war es auch, daß Theo, immer in einen gediegenen, aber unauffälligen schwarzen Anzug gekleidet, Manka wiederbegegnete. Man hatte sie in der Mjasojedovstraße schon lange nicht mehr gesehen. Mit einundzwanzig Jahren der Diebesschule entwachsen und unabhängig auf eigenen Beinen stehend, war sie immer noch eine Schönheit. Nur sah sie in ihrem im Sonnenlicht schimmernden Seidenkostüm jetzt weniger wie eine Kosakin aus. Sie bewegte sich immer noch geschmeidig und hatte, als sie ihren Schleier über den Hutrand lüpfte, nur um Theo anzusehen und sich selbst ansehen zu lassen, das dazu passende, Theo irgendwie an Mischkas Züge erinnernde Katzensicht.
Fast wie eine Dame, vielleicht etwas zu leichtfüßig, eilte sie über die Terrasse, wirkte verunsichert, suchte den Frauenbereich im Inneren des Cafés auf und kehrte zurück, um Theo ein weiteres Mal zu zeigen, daß sie ihn erkannte. Dann wurde sie mit Handkuß von einem jungen à la mode gekleideten Herrn begrüßt, in dessen Miene und Körpersprache Aufmerksamkeit, Schlaffheit und zum Spott neigende Nervosität lagen. Theo verglich ihn unwillkürlich mit Wassilev. Stattlich war dieser Herr und besaß ein Gesicht, das nicht fein, aber scharf konturiert war, etwa wie das eines zu weichlichen Knaben, dem die bildhauernde Natur gewaltsam und unerwartet Männerhärten in die Züge gemeißelt hatte. Auch in Mankas Gesicht mischte sich das Weiche mit dem Groben. Nur wenn sie romantisch fühlte und diesem Gefühl nicht gewachsen war, verlor ihr Gesicht jede Härte. Nie wäre Theo auf die Idee gekommen, daß dieser Wechsel in Mankas Gesicht oder diese fast schmerzhafte, weil unter Qual vollzogene Auslöschung der Kosakin in Manka auf seine Anwesenheit zurückzuführen sei. Aber da konnte dieser Wassilev-Epigone noch so charmant ihre Hände ergreifen, das übergeschlagene Bein wippen lassen, seine perlenbleichen Zähne entblößen und damit schlichte Absichten zu überdecken versuchen. Nur wenn sie Theo ansah, von unten oder mit einem Seitenblick aus der Drehung ihres Kopfes heraus, so überzeugend scheu, wie es ihr auf der Diebesschule von Zipperstein nie hätte vermittelt werden können, trat die wirkliche Manka hervor. Es war eine Manka, über die ihr Begleiter nicht verfügte, über die sie selbst vielleicht nicht verfügen wollte und die Theo verlegen werden ließ.
Mischka, der beim Essen die Zeitungen
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