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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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geschehen, an einer kleinen Bahnstation vor den Toren Odessas. Mischka hatte vergeblich versucht, die Sache wie ein Gentleman zu regeln, war sogar in die Rote Armee eingetreten, hatte mit alten und neuen Beziehungen noch eine Weile Reibach gemacht, wurde dann ein Dorn im Auge und nahm das Geheimnis der Katakomben mit ins Grab.
       Vom Fund des Partisanen hatte Theo später in Geschichtsbüchern lesen können. Den Aufzeichnungen des Baumeisters ist zu entnehmen, wie stolz es ihn machte: Seinem Generalplan war es zu verdanken, daß Partisanen unterirdisch gegen okkupierende Rumänen und Nazis vorgingen und, vom Muschelkalk geschützt, auch Widerstandsgazetten im labyrinthischen Versteck gedruckt werden konnten.
       Theo brauchte allein etwa 150 Seiten, um von seiner Geburt bis zum sechsten Lebensjahr zu finden, auch weil er nach wie vor Zahlenspiele, Rechenscherze und seltsame Zeichnungen in die Blätter füllte, wohl als Ersatz für andere Vergnügungen, für die er, früh mit der Eroberung der Unterwelt sein Leben als Erwachsener beginnend, keine Gelegenheit mehr fand.
       Am Anfang seiner Dienste für Japonchik war alles noch ganz harmlos gewesen. Birnbaum selbst hatte Theo übrigens über die Alternative – das Waisenhaus – aufgeklärt. Einkleidung, Verköstigung und Ausbildung durch die öffentliche Hand (die Schwielen vom Prügeln besaß, für Streicheleinheiten nicht geschaffen war und so beherzt zupackte, Krasnoglaz konnte es bestätigen, daß auch die Knochen robusterer Knaben zum Knirschen gebracht wurden).
       Nur Japonchik hatte ihm helfen können. Er besaß Mittel und Einfluß, um den Jungen durch entsprechende Papiere, die schon bald in unterschiedlichen Varianten vorlagen, zum Sohn von I. und A. Neschinski, von U. und B. Skidanovski oder von P. und G. Voloschin zu machen. Eltern, die an guten Adressen der Moldavanka und sogar im Alexanderviertel gemeldet waren, in der Öffentlichkeit sei es von Madame Rubinov und Krasnoglaz oder von derselben Dame und Zipperstein vertreten wurden, aber im Grunde nicht existierten. Der Räuberhauptmann selbst vermißte an Theo anfänglich das Leichte, Durchschaubare. Und doch trug er selbst dazu bei, daß seine Existenz mit Hilfe falscher Dokumente und vorgetäuschter Verwandter in einer nur auf der Gunst des Königs Japonchik beruhenden Großfamilie sich ins Phantastische verflüchtigte.
       So fragwürdig Theos eigenes Leben geworden war, so handfest sorgte es für diejenigen, denen der Junge sich nah fühlte.
       Birnbaum empfing mittlerweile für seinen Rat an fremde Gemeindemitglieder, die ihn aufsuchten, übertriebene Belohnungen. Aber vielleicht wurde ja damit seine frühere Großzügigkeit nur gerecht ausgeglichen. Der Rabbi hatte an Theos Zeugnissen und seinem manierlichen Auftreten eigentlich nichts auszusetzen. Er zog jedesmal, wenn der Junge ihn besuchte, dessen Hände bis kurz vor die Augen, untersuchte sie schauspielernd und wollte wissen, ob sie schon von Blut befleckt wären. Er fragte das so düster und eindringlich, daß Theo verlegen wurde.
       »Nein«, antwortete Birnbaum sich dann immer selbst, weil er die Sprachlosigkeit des Jungen ebenfalls für Schauspiel hielt, »an diesen Händen klebt kein Blut und wird niemals Blut kleben.«
       Ja, harmlos war es am Anfang. Auftrag ist Auftrag. Aber später, als der Junge zu hören und zu lesen bekam, wie sehr Japonchik von seiner Maulwurfsarbeit profitierte, fiel es ihm schwer, dem zuversichtlichen Birnbaum, einem hoffnungsprühenden Otto Schmidt, selbst Jankel und Zipperstein unter die Augen zu treten, weil er begriff, wie hoch der Preis für die Glückssträhne seiner Freunde war.
       Zipperstein, Mittelsmann für Japonchiks Winkelzüge, erntete statt Theo den Dank von Ljutov, Lukin und Jankel. Er sprach von seinem großen Einfluß auf den Räuber, hielt sich nur gegenüber Birnbaum bedeckt und spürte tatsächlich, zur Verwunderung Mischkas, das vakante Rabbinat in der wolhynischen Walachei auf.
       Zipperstein hatte sein altes Selbstbewußtsein wiederentdeckt und wuchs vor allen Dingen in den eigenen Augen noch weiter an Bedeutung. Dabei vergaß er ganz, wem er es zu danken hatte. Im Gegenteil – ›Theo, meine Herren, war doch meine Entdeckung!‹
       Es kam vor, daß der Junge lange grüblerisch unter Tage blieb und sich und dem Japanerchen einen Strich durch die Rechnung machen wollte. Da saß er dann vor einer breiten, einladend wassergefüllten Grube, das Senkblei zeigte

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