Trojaspiel
du sagst, um das Wohl deiner Familie. Es ehrt mich, daß du in deiner Not, in der man sich ja auf die besten Freunde besinnen soll, gerade zu mir kommst. Trotzdem sind wir keine Freunde, und nur weil ich weiß, daß du es mir nie vergessen wirst, werde ich dir helfen, Ariel Leibovits.«
Mischka gewährte einen Kredit von fünfundzwanzig Rubel, legte einen Rückzahlungstermin, aber keine Zinsen fest und ließ seinen Schuldner ziehen.
Man erörterte dann noch den betreffenden Monat des zurückliegenden Jahres und stellte fest, daß sich selbst für eine Armee von nur zehntausend Mann der Überblick schwer halten ließ. Währenddessen betete Theo, um erneut zu beweisen, was in Wirklichkeit möglich war, die Einträge des letztjährigen Monat März herunter. Er kam vom 1. bis zum 5. und wäre auch bis zum 31. und weiter von April bis September gekommen, denn so weit hatte er gelesen. Aber Mischka unterbrach ihn, nachdem er seine Augen wieder auf das normale Maß zusammengekniffen hatte.
Der Räuberhauptmann streichelte ungläubig seinen Seehundbart, Krasnoglaz staunte mit dem Auge, Monsieur Boulande blieb nur vornehm kühl und war trotzdem in diesem Augenblick auch als Buchhalter verschlissen worden.
Monsieur Boulande hatte als verdienter Mitarbeiter und Geheimnisträger Anspruch auf Pension oder einen kurzen schmerzfreien Tod. Er bekam wohl deswegen ein stattliches Gnadenbrot zuzüglich einer Wohnung bewilligt, um Theo, der in seine neuen Pflichten behutsam eingearbeitet wurde, nicht schlecht von den Perspektiven seiner Beschäftigung denken zu lassen.
Boulande grollte nicht, fühlte sogar sein Gewissen erleichtert und wurde bis zu seinem natürlichen Tod noch oft im Alexanderpark gesichtet, wo er junge Damen versehentlich mit seinem Spazierstock anstieß, sie in ein Gespräch verwickelte, um dann doch alleine, aber Arien pfeifend, nach Hause zu gehen.
Theos Gedächtniskunst wurde bis zur Fertigstellung des Generalplans regelmäßig an weniger heiklen Gegenständen wie Speisekarten oder Theaterzetteln erprobt, und man stellte fest: Der Junge konnte sich vieles, aber nicht alles, was ihm vorgelegt wurde, sofort und dauerhaft merken. Selbst einen Artikel von Ljutov zu memorieren oder ein Opernlibretto oder einen ganzen Puschkin-Gedichtband fiel dem Knaben nicht schwer. Aber es gelang ihm nur dann fehlerfrei, wenn auch der Stoff selbst ihm zusagte.
Zahlen liebte er jedoch, und Mischkas Bücher, die kaum etwas anderes enthielten, boten seinem Gedächtnis nicht das geringste Hindernis.
Theo und Mischka trafen sich jetzt regelmäßig. Der Junge vermied zwar das Wort Vater, aber wenn er sich wieder einmal zwanzig Gesichter und Kontrakte gemerkt oder eine ganze Parade von Geschäftspartnern für Mischka identifiziert und anhand ihrer Zahlen bewertet hatte, warf er Japonchik nicht selten einen Blick zu, der alles andere als geschäftlicher Natur war.
Abends hockte Theo im Elefanten , in Mischkas Zimmer, für das er nun einen Schlüssel besaß, vor einem extra für ihn aufgestelltem Schreibtisch. Er ordnete Quittungen, Notizen, Rechnungen, Schuldscheine, Verträge, Konten und Depotauszüge und trug alles, was in Japonchiks Reich geldwert war und verbucht und aufgezeichnet werden mußte, in die Geschäftsbücher ein. Der Junge langweilte sich nicht gerade und stellte manche lustige Querverbindung zwischen Namen Summen und Begebenheiten her, aber als Buchhalter fühlte er sein Talent vergeudet.
Mischka baute zunächst Fallen ein und prüfte ihn, ließ etwa beiläufig den Hinweis auf eine randvoll mit Preziosen gefüllte Kiste fallen, die versorgt werden müsse und die sich auch an dem Ort gefunden hätte, der von ihm bezeichnet worden war – zusammen mit einer tödlichen Überraschung.
Aber Theo verriet und betrog nicht, er brannte nicht durch und wollte nichts von teuren Geschenken wissen. Mit wachsender Gewohnheit empfand er sogar eine gewisse Befriedigung bei der Erfüllung seiner Pflichten. Es war nicht mehr allein wegen seiner Freunde, die schon lange ihr Auskommen gefunden hatten, sondern weil in der Art, wie der mächtige Räuber seinen Kopf strubbelte, seine Wange kniff, ihn auch in den Arm nahm, für ihn im Zoo talentiert einen Gorilla oder im Robina vornehme Tischnachbarn nachäffte, etwas lag, was er sich immer ersehnt hatte.
Mischka selbst war für die mit Worten nicht zu fassende Erweiterung seines Erinnerungsvermögens dankbar. Er
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