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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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der Menschheit jetzt bis in die allerfernste Zukunft werde einzig und allein sein, die Natur abzubilden, sie zu reproduzieren, weil in ihr jede Erfindung bereits geleistet oder angelegt sei, und zwar mit einfachsten Mitteln.
       Dann könne ja wohl die Kunsttischlerei, die da auf seinem Dachboden betrieben werde, nur dem gleichen hehren Ziel gewidmet sein? Dem Abbilden der Natur?
       »In gewisser Hinsicht ja«, erwiderte der Baumeister.
      
       »Dann ist dir dein Handwerk aber gründlich mißlungen, mein Lieber«, fauchte mein Urgroßvater, »denn die Natur funktioniert!«
       Vielleicht war es die starke Bowle, die im Nachbarhaus ausgeschenkt wurde, das einem jüdischen Arzt und seiner Schwester gehörte. Am dritten März, anläßlich der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Brest-Litowsk lud der Mediziner – durchaus ohne Ironie – einen bunt zusammengewürfelten Kreis aus Wissenschaftlern, Künstlern und Intellektuellen ein (er selber forschte an Colibakterien), darunter auch den Mathematiker Josef Ludwig.
       Vielleicht war es auch die Tatsache, daß mein Urgroßvater sich an diesem Abend unsterblich verliebt hatte in Luise Kettenbach, eine junge Pianistin, die ohne Mühe die Gaußsche Normalverteilung erklären konnte und darüber hinaus dreimal Tee auf sein Hosenbein verschüttete.
       Aber als Tibor seinem Gönner spät in der Nacht vom Treppenabsatz im zweiten Stock aufhalf, neben den er sich zum Schlafen hingelegt hatte, ihn vor das riesenhafte Modellhaus führte, das im westlichen Flügel des Speichers verborgen gewesen war, und die Kugel im Schornstein versenkte, da gelobte er zum ersten Mal, an ein höheres Wesen zu glauben oder wenigstens über die Theorien und Begabungen des Jungen ernsthafter nachzudenken – falls, ja falls die Kugel, wie der Junge es prophezeite, ihren Weg aus diesem unglaublichen Haus in exakt einer Stunde finden würde . . .
      
      
       Lauras Ohrfeige hatte Auswirkungen. Die Stimmung im Hotel war an diesem Abend angespannt. Atmosphärische Signale für schweres Wetter, Hinweise auf unterirdische Vorgänge, auf Trübsal hinter den Kulissen.
       Mahgourian huschte einmal durch die Lobby ins Direktorenzimmer, ein paar atemlose Beschimpfungen, von wo ist ungewiß, klangen durch den Raum. Die Rezeptionistin zischte etwas ins Telefon, ein Mann mit schwarzem Handkoffer und Fliege verschwand eilig im Lift.
       Der Barmann war nicht bei der Sache, er goß den Wodka fast geringschätzig nach, meine heiteren Fragen nach Fußballergebnissen, die mich nicht interessierten, dann, ein Klassiker, nach dem Wurm im Mezcal, ignorierte er einfach. Sein Blick war wie der des Saisonkellners im Strandcafé unstet, da draußen braute sich etwas zusammen, die Tradition des unverbindlichen Zwiegesprächs zwischen seinesgleichen und dem Kunden war augenblicklich überflüssig, wie der Mezcalwurm, wie die Zigarette (gewöhnlich rauche ich nicht), die ich in stummem Protest hinter seine Bar schnippte, er merkte es nicht einmal.
       Ich ging nicht nach oben, aus Angst, Laura zu begegnen.
       Aus Angst, in ein Sturmtief zu geraten.
       Ein Zimmermädchen nach Schichtende lehnt über den Tresen, lächelt dem gebräunten Barmixer zu. Ihn interessieren nur Neuigkeiten. Ein Gast hat auf dem Zimmer randaliert, die ganze Einrichtung zerschlagen. Nervenkollaps oder Drogen.
       Eine abgerissene Amerikanerin in einer Juniorsuite. Hat einen greisen Zahlmeister hier im Hotel. Ein Arzt war schon vor Ort. Vermutlich laufen da irgendwelche Sauereien. Bei dem Stichwort ›Sauereien‹ leckt sich mein Ganymed grüblerisch die Lippen, ich schnippe eine weitere Zigarette hinter die Bar, unentdeckt, Laura, wo auch immer sie ist, fesselt Aufmerksamkeit.
       Später sitzen Zack und ich in einer Nische zusammen. Er hat die Aufregung um Laura von der Terrasse, dann von seinem Zimmer aus verfolgen können, Details verschweigt er. Ich habe das Gefühl, er will mir etwas Wichtiges mitteilen.
       Nein, keine weiteren Ermahnungen wegen des Trinkens.
       Ich schlafe einfach ein.
       Was war das doch gleich . . .
       Ach ja, er nannte Mahgourian einen gefährlichen Menschen.
       Wie? Nicht in der Weise, wie ein tollwütiger Hund oder ein Straßenräuber gefährlich sei, »die würden vor dir Reißaus nehmen«, sondern wie ein Seelenjäger. Dieser Mann ginge nach wie vor durch die dunklen Gänge seines Hotels, erläuterte Zack seine Theorie, nur daß er jetzt jede Tür aufreißen würde,

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