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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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seinem Gastgeber – er könne das ja sozusagen verlangen, sagte er augenzwinkernd – Italienisch oder Russisch beizubringen. Tibor gehorchte, aber es machte ihn nicht fröhlicher.
       Eines Abends, der Knabe übersetzte seinem Gönner aus dem Buch des Herzogs von Richelieu über die Hafenstadt Odessa am schwarzen Meer, begann Tibor unversehens zu weinen. Und als würde er dadurch ein Gespräch oder Nachfragen verhindern wollen, löschte er einfach das Licht der Petroleumlampe, die neben seinem Bett stand.
       Der Mathematiker war nicht gerade ein erfahrener Pädagoge, aber er blieb auf seinem Stuhl sitzen – und irgendwann schlief er ein.
       Als er wieder aufwachte, war es stockfinster um ihn herum. Auch im Haus war es längst dunkel, kein Lichtstrahl drang mehr durch die Ritzen der Bodenluke. Aber er konnte es ganz deutlich hören, das schnelle Tappen, und wagte nicht, etwas zu sagen. Er spürte direkt neben sich einen Luftzug und hörte, wie Bücher aus dem Regal gezogen wurden. Schnelle Schritte entfernten sich zwischen Tischen und Stühlen. Kein Straucheln, kein Anstoßen. Wieder und wieder der Luftzug. Das Tappen. Der Junge trug die Bücher in den westlichen Teil des Speichers.
       »Tibor?«
       Er hörte den Knaben etwas in einem seltsamen, unvertrauten Ton sagen, guttural, dumpf.
       »Tibor?«
       »Das war Russisch«, antwortete der Junge, »es bedeutet: Ich kann Sie nicht verstehen.«
       Der Mathematiker tastete nach der Zündholzschachtel in seinem Jackett und brachte es schließlich, während er weiter auf das Tappen im westlichen Flügel des Hauses lauschte, fertig, die Petroleumleuchte zu entzünden. Langsam ging er auf die Biegung des Speichers zu. Und dann sah er den Jungen, der im nachgeäfften Stechschritt über den Speicherboden paradierte. Die Bände, die er aus dem Schrank geholt hatte, waren auf dem Boden ausgebreitet und zu einem rechteckigen Mosaik arrangiert, durch dessen verwinkelte Bahnen Tibor seine Füße setzte, den Blick starr geradeaus, ohne eines der Bücher auch nur zu berühren.
       »Es ist ein Spiel!« brüllte der Junge.
       Zum ersten Mal wurde der Knabe dem Mathematiker unheimlich.
      
       Einen Monat später begann sein Schützling zu basteln. Aus dem Schälholz für Obst und Gemüsesteigen, die er sich erst von der Köchin zurücklegen und dann in großen Mengen vom Markt mitbringen ließ, stellte er große Würfel und Quader her. Er schob und bewegte diese Holzkörper über den Speicherboden, fügte sie wie Bauklötze zusammen und verleimte sie, bis ein indianischer Totempfahl, ein großer Buchstabe oder sogar ein rechtwinkliges Haustier entstanden war.
       Der Mathematiker fand das unsinnig, aber nicht so unsinnig, wie etwa Kaiserparade oder Räuber und Gendarm zu spielen oder meinetwegen Zinnsoldaten anzumalen. Und er sagte schon deswegen nichts, weil der Junge zum ersten Mal seit der Schlacht bei den masurischen Seen unternehmungslustig und sogar heiter war.
       Die geometrischen Ungetüme, die er anfertigte, füllten bald den halben Speicher.
       Er nistet sich da oben ein, er baut sich einen Kokon, dachte mein Urgroßvater, oder: Er hat Angst vor dem Krieg. Die Front ist in seinem Kopf. Diese Gebilde sind sein Schützengraben.
       Als er eines Abends, die Hände auf dem Rücken verschränkt, um den Jungen herumschlich, der aus dem Holz eines demontierten orthogonalen Dampfers an seiner neuen Werkbank feine Holzblättchen heraussägte, fiel ihm auf, daß die geometrischen Bausteine, die der Junge verwendete, immer kleiner geworden waren.
       »Das ist wohl eine Art Tangram, nicht wahr?« fragte er schüchtern.
       »Etwas Ähnliches«, antwortete der Junge, aber es klang nicht hochnäsig.
       »Allerdings, es ist dreidimensional. Die Chinesen legen doch diese Figuren mit kleinen Holzscheiben – ich könnte dir vielleicht ein paar Bücher darüber besorgen«, bot er an.
       »Ist nicht nötig«, wehrte der Knabe ab, »aber ich brauche anderes Holz, dieses Pappelholz von den Fruchtkisten ist nicht glatt genug.«
       Der Mathematiker überlegte eine Weile, bevor er eine Frage stellte, die ihm selbst ein wenig aufdringlich vorkam. Immerhin bestand kein verwandtschaftliches Band zwischen ihm und dem Jungen. Der Flüchtling, der seiner Gastfreundschaft nun einmal sicher sein konnte, hatte ein Recht darauf, den Tag nach seinem Belieben zu verbringen. Andererseits war er noch ein Knabe und bedurfte der Anleitung. All die Talente,

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