Trojaspiel
die an dieser ordinären Werkbank brachlagen . . .
Tibors Freund hustete übertrieben laut und räusperte sich ausgiebig.
»Was möchtest du eigentlich einmal werden, Junge, hm?«
Die Antwort kam schneller als erwartet und in so festem Ton, daß Zweifel nicht angebracht war.
»Ich möchte ein Baumeister werden, ein Architekt«, sagte der Knabe, während er ein neues Sägeblatt zwischen die Flügelschrauben seiner Laubsäge spannte.
Der Mathematiker verkniff sich ein Lachen. Wie konnte man sich nur mit so platter Geradlinigkeit für einen Beruf entscheiden, in dem man es ohne Protektion bestenfalls zum Erbauer von Kasernen, Lagerhallen oder öffentlichen Pissoirs brachte? Und woher sollte diese Protektion kommen? Noch immer war der Junge ein Ausländer unbekannter Herkunft, der aus dem Polizeigewahrsam desertiert war. Die Ausbildung an einer Bauakademie dauerte drei Jahre. Wann und wo sollte die stattfinden?
Aber der Mathematiker und Gastgeber, der Gönner und Beschützer, mein Urgroßvater, wußte auch, daß eine so konkrete Vorstellung von Zukunft dem bajazzohaften Prahlen genialer Talente vorzuziehen war. Das Baufach stellte nicht gerade eine hohe Wissenschaft dar, aber es war grundsolide. Architekten waren dafür zuständig, daß Menschen nicht in Höhlen nächtigten. Die höhere Entwicklung der Kultur blieb nun einmal den Künstlern – und Mathematikern – vorbehalten. Andererseits hatte auch der große Schinkel ein paar Ölgemälde verbrochen, Theaterkulissen, Kronleuchter und Porzellan entworfen, und die Vielseitigkeit des Jungen konnte man wirklich nicht in Frage stellen.
Ein wenig Enttäuschung nach den großen Hoffnungen, die er gehegt hatte, gestand sich der Gönner des Knaben trotzdem ein. Vielleicht deswegen, weil er Tibor bei seinem Studium kaum würde helfen können.
Der Knabe, der sich in der Erwartung eines Kommentars höflicherweise längst zu seinem Förderer umgedreht hatte, bemerkte dessen starren Blick, der sich irgendwie im offenen Heck des Dampfers auf der Werkbank verhakt zu haben schien. Er zog aus seinem grauen Kittel ein aufgerolltes Stück Transparentpapier und hielt es meinem Urgroßvater vor die Brust.
»Ich werde Häuser bauen, wie es sie noch nie vorher gegeben hat«, sagte er bescheiden und wandte sich wieder seinen Holzarbeiten zu.
Als durch den Kriegseintritt des anfänglich neutralen Italiens im Mai 1915 eine Südfront in den Alpen und am Isonzo dem deutschen Generalsstab vorübergehende Kopfschmerzen bereitete, war auf dem Dachboden der prächtigsten Villa des Städtchens bereits eine Holzwerkstatt eingerichtet, die es mit jedem ordentlichen Schreinerbetrieb hätte aufnehmen können. Der Knabe machte eine Vielzahl von Experimenten mit den verschiedensten Holzsorten. Da es für seine Modellbauten von großer Wichtigkeit war, Holz formbar zu machen, kam es gelegentlich zu dramatischen Zwischenfällen im Hause seines Beschützers. Eine Leimwanne, in der er Birnbaumholz kochte, lief schäumend über, und der flüssige Klebstoff lief über die Speicherluke bis auf die Stufen des obersten Treppenabsatzes, so daß die ambulante Waschfrau, die ihren Dienst in der ganzen Nachbarschaft versah und gerade frische Leintücher in das Dienstmädchenzimmer bringen wollte, mit ihren Holzpantinen festklebte, stolperte und sich das Sprunggelenk verdrehte. Ein anderes Mal, als der Junge Elastizitätsversuche mit harten und feinporigen Ahorn- und Buchenhölzern machte, die er in Wasser kochte, er hatte sich dafür einen ausrangierten Kartoffeldämpfer von einem Bauernhof besorgen lassen, brannte das Holz an, und der Hausdiener hätte um ein Haar die Feuerwehr alarmiert.
Der junge Baumeister war schwer zufriedenzustellen, das neue Pappelholz war weich und splitterfest, aber nicht biegsam genug, die Lieferung Erlenholz arbeitete kaum, ließ aber genau wie das Lindenholz in Festigkeit und Tragfähigkeit zu wünschen übrig. Das Dämpfen, Wässern oder Kochen der Hölzer, mit dem die verschiedenen Biegetechniken eingeleitet wurden, hatte wiederum auf jeden Holztyp eine ganz eigene Wirkung.
Tibors Förderer bekam, als er den Konstruktionsplan des ersten der Häuser studierte, das drückende Gefühl, daß er einen verschwiegenen Nervenarzt engagieren müsse, um dem Jungen auf den Zahn zu fühlen. Rein äußerlich zeigte das Blatt eine sozusagen normale herrschaftliche Villa mit einer Werksteinfassade, zwei einfallsreich verzierten
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