Trojaspiel
diesem gemeinsamen Merkmal aller Gepäckstücke erkennen können, daß sie nicht die Trouvaillen eines Gelegenheitsdiebes sein konnten. Diese Buchstaben waren ein Firmenwappen. All die großen und kleinen Koffer und Taschen waren von demselben Sattler angefertigt worden. Der junge Mann im Archiv hat dieses Signet zuordnen können, mit Hilfe alter Lieferantenverzeichnisse. Der unerfahrene Polizeidiener hatte nicht ganz unrecht, als er die Qualität der ledernen Utensilien Giocondos mit derjenigen verglich, die er im Wagen von Erzherzog Franz Ferdinand gesehen hatte. Die Ledermanufaktur, die dieses Prägezeichen verwendete, es sei denn bei solchem Gepäck, an dem neben den Adelsinsignien kein weiteres Wappen erwünscht war, die Firma Bianchi und Bianchi in Rom, zählte nicht nur Giocondo zu ihren Kunden, sie war auch Lieferant der preußischen und des österreichischen Hofes – wenigstens bis 1916.
Sie ist noch immer in Rom ansässig, heute allerdings als Produktions- und Handelsunternehmen für Lederwaren und Koffer.« Mahgourian war es gelungen, mit einem Urenkel der Firmengründer zu sprechen. Die größte Überraschung dabei war nicht, daß die alten Auftragsbücher des Unternehmens noch vorhanden waren, mit deren Hilfe und anhand der Asservatenbeschreibung man feststellen konnte, wer Giocondos Gepäck bestellt hatte, die größte Überraschung bestand darin, daß man seinen Anruf erwartet hatte.
»Mein Italienisch war zwar nicht mehr gut genug, um den Tonfall dieser Bemerkung zu deuten, aber Herr Bianchi wiederholte es in Englisch, und es klang sehr ernst. Als würde die Königstochter endlich den Kuß empfangen wollen, der sie aus der Versteinerung erlöst. Ich habe auf Sie gewartet . Wenn dieser Zug nicht entgleist und mich nicht vorher der Schlag trifft, dann besteht die Chance, ein Verbrechen aufzuklären oder eines Mannes Unschuld zu beweisen.«
Mahgourian, der englisch gesprochen hatte, mußte feststellen, daß im Abteil Schweigen herrschte, kein Beifall war zu hören. Er lächelte jedoch siegesgewiß und widmete sich wieder dem Buch, das auf seinen Schenkeln ruhte.
Zack verzog den Mund, er warf mir einen belustigten Blick zu, aus dem ich lesen konnte, daß er Mahgourian jetzt auch noch für verrückt hielt.
Ich war mir sicher, der Alte übertrieb nur, wie immer. Wir würden mit etwas Glück ein paar Gepäckstücke einem Namen zuordnen können, nach so langer Zeit war damit kaum etwas zu gewinnen. Zuversicht und Einbildung waren die Steckenpferde des Hoteliers, und Werkzeuge im Versuch, sein Publikum zu unterhalten.
Was interessierte mich dieser Giocondo, wer auch immer er gewesen sein mochte, niemals hätte der versponnene Knabe die Kraft besessen, jemanden anderen zu töten als sich selbst. Er war mittellos und damit ein leichtes Opfer von Betrügern, von Dieben oder Hochstaplern. In Gefahr, ausgenutzt zu werden. Mit Hilfe der Postkarten würde ich mich an seine Spuren heften, wenn er zu entdecken war, würde ich den Baumeister finden. Meine Zweifel waren verflogen, der Flaschengeist entmachtet, das, was ich nicht für möglich gehalten hatte, es war eingetreten, schon als der Zug den Bahnhof verließ: Ich begann diese Reise zu genießen, selbst das Banale, nur für die Augen Bestimmte, wie in Südtirol, satte Farben, die Kargheit der gebirgigen Landschaft, Grün- und Brauntöne, anders als in der Stadt, authentisch und frisch, roter Quarzporphyr, Gebirge aus Dolomitgestein und bleichem Kalk – und Wasser, das nicht wirklich sein konnte, so munter und klar war es, wie aus der Phantasie eines Märchens.
Ich halte den Kopf aus dem Fenster, milder Wind streicht mir durch die Haare. Die Kühe, auf die Wiesen, an die Hänge, an die Flanken der Täler gemalt, erscheinen wie überflüssige Zierde, bis sich die Musik der laufenden Räder auf Eisen wieder in den Vordergrund drängt, mir deutlich macht, daß der Zug, die Gleise und der Schotter, von Kot und Unrat gesäumt, nicht zuletzt wir, die Reisenden, es sind, die in dieser Landschaft stören.
Dann flaches Land im Westen Venetiens, die Mittagssonne steht über dampfenden Feldern, gestreckte Dächer kleiner Dörfer heben sich aus dem Hintergrund von Weizen und Mais, Weininseln in der Po-Ebene gleiten vorbei, die Reben sorgfältig mit Weidenruten rundgebunden. Bei Ostiglia im äußersten Osten der Lombardei wird das Klackern der Räder heller, ich klebe am Fenster, als wir die Brücke überqueren, wo der Po
Weitere Kostenlose Bücher