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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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dann die ersten Bruchstücke der historischen Vergangenheit, Linien und Konturen einer Welt, die so alt ist, daß die moderne Stadt respektvoll um sie herum wächst.
      
       Der Professor reckt erwartungsvoll den Hals zwischen den Scheiben rechts und links, er nestelt an seinem Reiseführer. Mahgourian sitzt wie versteinert da, es sind nur seine Augen, die sich bewegen. Ich halte die Ledermappe mit den Postkarten in der Hand. Die Stadt habe ich schon einmal besucht, diesmal will ich sie mit den Augen des Baumeisters sehen.
      
      
       Stazione Termini. Nur unsere Koffer werden abgeholt, wir selbst stehen am Bahnsteig und nutzen den Service des Hotels nicht, Mahgourian inszeniert, denn wir befinden uns genau an dem Ort, den T. L.s erste Karte zeigt. Eine grauweiß verwaschene Botschaft aus der Vergangenheit, die jetzt von Hand zu Hand geht, ein Nachkriegspanorama mit alliierten Soldaten, keine Ansichtskarte, wie sie heute populär sein könnte, sondern ein Dokument, das den Stolz des Siegers oder den Witz des Unterlegenen ausdrückt.
       Auch Zacharias und Laura ahnen, wir sind zum Nabel des Projektes vorgedrungen, weil jede Vertrautheit verflogen ist, das Land ihrer Geburt, es sieht substantiell anders aus, in jeder Perspektive.
       Der erste Eindruck: ein Zirkus. Das vielstimmige Geräusch menschlicher Äußerungen, die mechanische Geschäftigkeit des Ortes, das Klappern und Quietschen, das Klopfen und Hämmern – das Rauschen, es will zu Kopf steigen, wie der Duft von Anis vor einem Süßwarenstand sich auf den Magen legen möchte, denn er vermischt sich mit dem Geruch von Bratfett, Schmieröl und Teer, auch der Geruch von fauligem Wasser aus Tanks und Abflüssen liegt in der Luft, von verbrannter Kohle und Kaffee, belebt nur durch den Duft der Blumen, die mir ein Zigeunermädchen unter die Nase hält, ungeduldig klappert es mit den Absätzen seiner Holzschuhe, schaut neugierig zu dem Jungen mit der langen Narbe im Gesicht hinüber, er balanciert feuchte Kokosscheiben auf einer Blechplatte vor seinem Bauch und steuert auf Laura zu.
       Wir bewegen uns durch den Halbschatten zwischen Zeitungsbuden und den flachen Steinbänken vor dem Bahnhof. Einander jagende Kinder, die zu niemandem gehören, Touristen in kurzen Hosen, fliegende Zigarettenhändler, dürre Farbige mit flackernden Augen, die Ledergürtel verkaufen, Parfüm in zerdrückten Kartons, Designeraccessoires mit den Spuren hastiger Garagenproduktion in grauen Hinterhöfen. Die Stimmen weben einen Teppich oberflächlicher Kommunikation, eigentlich geht es um ein Spiel der Augen, Beobachtung, selbst die streunenden Kinder plötzlich verhalten, als sie den grimmigen Zack sehen, forschende Augenpaare, er weicht keinem Blick aus, wie zur Antwort Hupen und Unruhe, und die Straßenjungen verschwinden zwischen Buden und überquellenden Müllkübeln.
       Ich binde meine Haare nach hinten, schlendere an den Rand der Straße.
       Laura hält den Rucksack auf ihrem Bauch umarmt, hat eilig ihre Sonnenbrille ein wenig schief auf die Nase gesetzt. Zack krempelt wie ein verirrter Lude die Sakkoärmel hoch, dreht sich ständig, fast wütend im Kreis, ballt rhythmisch die Fäuste, um eindrucksvolle Unterarme und seine Bereitschaft zum Widerstand zu zeigen. Das Durcheinander hier entspricht nicht seinen Vorstellungen von einer Metropole, es ist ein Gewühl zwischen Ruinen, ein Hexenkessel, der sich dem rechten Winkel verweigert, der Nüchternheit der abwaschbaren Oberfläche.
       »Verdammt«, stöhnt er, während man sich an ihm vorbeidrückt, die aufdringliche Nähe von Passanten, die ihm fremd sind, ein Widerspruch in sich, Zacks Distanzbedürfnis leidet darunter.
       »Verdammte Hitze hier«, nörgelt er ablenkend, hält sich jetzt zwischen Mahgourian, der Laura nicht aus den Augen läßt, und mir, die Frontlinien neu berechnend. Die gemeinsame Freundin geht mechanisch vor uns her, aber wenn man voraussetzt, daß zielgerichtete Bewegung eine bewußte Entscheidung erfordert, ist es eher ein Wanken ein somnambules Schlurfen, das sie vor uns hertreibt.
       Hinüber zu dem Aufgang an den Kolonnaden. Zigaretten? Blumen? Maroni? Cento Cent? Ein Mann rudert auf einem Rollbrett, rudert mit den Händen an uns vorbei, ein Jutesack um seine Hüften gebunden, eine unvorstellbare Verletzung verbergend. Seine Hände stoßen sich am Boden ab, die Arme schwingen aus, in seinem knotigen Gesicht glühen schwarze Augen, ein melodiöses Jammern mündet in ein Lied,

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