Trojaspiel
meine Mutter, ihn bei uns im Haus übernachten zu lassen. Er darf in der Küche schlafen. Nachts schleich ich mich zu ihm. Er nuckelt an einem Schnapskrug. Ich sag ihm, er soll mir was erzählen. Ich weiß, daß meine Mutter ihn keine weitere Nacht bei uns behalten wird, und ich will etwas von ihm hören. Er schmeißt sich wieder ran und erzählt mir, daß er immer auf Arbeitssuche war und viel krank und daß er alles bereut und daß es ihm leid tut. Aber das will ich nicht hören. Ich will eine Geschichte, etwas, woran ich mich erinnern kann.Und ich bekomme meine Geschichte. Er erzählt mir, wie er mit seinen beiden besten Kumpeln Anfang der dreißiger Jahre durch Alabama zieht. Der Beginn der großen Wirtschaftskrise, wo kaum jemand was zu beißen hat. Nicht mal die Weißen. Heerscharen von Wanderarbeitern, die übers Land ziehen und bei Farmern anklopfen, um für ein paar Cents oder etwas zu essen auf dem Feld zu arbeiten. Die drei schlafen fast nur im Freien. Trotzdem waren sie immer guter Laune, sagt er. Und ich glaube ihm kein Wort, weil er jetzt mit der Schnapsflasche an den Lippen und einem Dach über dem Kopf auch nicht guter Laune ist. An einem Sonntag kommen sie in eine kleine Stadt irgendwo in der Mitte von Heart of Dixie. Es hat kein Laden auf, und sie schieben Kohldampf, haben sogar noch ein paar Cents. Sie gehen also aus der Stadt raus, an ein paar mickrigen Farmen vorbei, bis sie zu einer kommen, die richtig stattlich aussieht. Sie beschließen, einer von ihnen soll rübergehen und nach ein bißchen Brot und Milch fragen, sie können ja auch bezahlen. Einer geht, das ist die Regel, wenn im Süden drei Nigger vor der Tür stehen, schreit sofort jemand Überfall oder denkt an einen Aufstand. Es trifft Gott sei Dank Fred, den lustigsten der drei. Er hat Charme bis in die Zehenspitzen und ist ein Mordstänzer. Die Weiber fliegen auf ihn. Er klopft an der Tür, und eine junge Lady macht auf, sie ist vielleicht so alt wie er selbst und hat einen Teint wie weiße Seide. Und freundlich ist sie auch. Kein Problem, ein paar Happen abzustauben. Sie will nicht mal Geld sehen, fragt Fred, woher er kommt und wohin er geht. Ja-nein, Arbeit sei keine da, ihr Vater arbeite nicht mit Niggern, so ist das hier nun mal. Es gibt ja genügend Weiße. Aber sie lächelt weiter und ist freundlich. Fred verabschiedet sich. Und weil sie immer noch dasteht und lächelt, stellt der gute Junge, er ist gerade mal achtzehn, seine Milchkanne ab, legt das Brot drauf und fängt an zu tanzen. Er legt einen Bill Bojangles Stepptanz hin, wie ihn ein Nigger mit Löchern in den Schuhen noch nicht besser getanzt hat. Er klatscht sich auf die Schenkel, rollt die Hüften, hat den Mund aufgerissen und kriegt sich nicht wieder ein. Vaudeville in the heart of Dixie. Wie der berühmte Bojangles selbst, wenn er mit Shirley Temple auf Tour war. Und dann sagt er noch mal danke, winkt ein weiteres Mal zurück und macht sich auf den Weg. Er hat kaum die Straße erreicht, als er einen Schuß hört und sieht, wie seine Milch an beiden Seiten aus der Kanne spritzt. Ein Weißer steht vor dem Scheunentor neben dem Haus und hat auf ihn angelegt. Fred dreht sich in Panik um, aber die weiße Lady ist nirgendwo zu sehen. Er haut ab. Sie fliehen alle drei über die Felder. Er und Jack und mein Vater. Aber plötzlich ist der Teufel los in diesem verschlafenen Nest, so als hätte man nur auf sie gewartet. Plötzlich scheint jeder auf den Beinen zu sein. Ein paar Neger, schreien sie, haben ein weißes Mädchen belästigt. Die Verfolger kommen aus der Stadt, sie kommen von den Farmen und Feldern, mit Hunden und Pferden jagen sie über das Land, immer mehr von ihnen. Es dauert nur eine Stunde. Mein Alter kann nicht mehr. Am Rande eines kleinen Waldstücks legt er sich hinter einen umgefallenen Baum in ein Erdloch. Die anderen beiden laufen weiter. Schüsse, das Gekläff von Hunden. Plötzlich kommen seine Kumpel zurück durch den Wald gerannt. Man hat sie in die Zange genommen. Jetzt laufen sie dem Rest des Mobs genau in die Arme. Mein Alter verläßt sein Erdloch und springt in einen Holunderbusch, um sich besser zu tarnen. Der Lynchmob ist nur zwanzig Meter von ihm entfernt. Sie schlagen und treten die beiden, die Hunde beißen sie, man reißt ihnen die Kleider vom Leib. Mein Vater hört das Gebrüll und die Ankläger, er erfährt, daß die beiden ein weißes Mädchen vergewaltigen wollten, sie hätten sich vor sie hingestellt und Rammelbewegungen wie die Hasen
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