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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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Haltung, die den Gedanken an Krankheit fast aufzwingt. Die Welt ist feindselig, oder sie wird bald zusammenbrechen, sagt diese Haltung. Daß Laura mir auch von sich nicht alles erzählt hat, davon bin ich mittlerweile überzeugt. In diesem Punkt wahrt Mahgourian ja unsere Interessen. Er schweigt über das, was er weiß. Die Vergangenheit besteht aus Privatangelegenheiten. Der Austausch ist freiwillig.
       »Überall während der Fahrt habe ich Wasser gesehen«, sagt Laura. »Flüsse, Bäche, Seen. Ich hatte einen Augenblick geträumt, und plötzlich schaue ich von einer Brücke hinab ins Wasser. Auch hinter den Bäumen konnte man es erkennen. Das ist doch seltsam.«
       Ich nicke zögernd. Daß sie krank ist, will ich nicht glauben. Um keinen Preis. Sie taucht nur wieder, bekommt den Kopf nicht über Wasser.
       »Was für Medikamente nimmst du, Laura?«
       Ihr Oberkörper bewegt sich langsam auf und ab.
       »Psychopharmaka. Gegen Angst.«
       Damit habe ich keine Erfahrung. Aber weshalb trinke ich Wodka? Es beweist nichts. Dann beginnt sie wieder zu singen, und ich weiß, es gibt Hoffnung.
      
       
       Ich stehle mich fort aus dem Hotel, ehe Mahgourian die Programmgestaltung übernehmen kann. Zurück am Bahnhof, seine Postkarte in der Hand, erwarte ich, daß mir allein hier T. L.s Offenbarungen zuteil werden, wohlwollende Voraussagen über meine Zukunft angesichts unserer gemeinsamen Vergangenheit.
       Auf einem Brunnenrand streiche ich einen feinen Staubfilm von meinen Armen. Schichten all dieser Altertümer lösen sich ab, Jahr um Jahr, und legen sich auf die Touristen, auf alle Besucher, auf die Einwohner selbst. Die Bewegungen werden deswegen irgendwann langsam und träge. Man wird zum Zuschauer. All die alten Gebäude, die Häuser, die Kirchen und Tempel, die Ruinen und zerbrochenen Bogengänge, sie verdammen uns dazu, sie zu bewundern, indem sie die Last der Zeit abstreifen und auf uns legen.
       Das Menschengewirr auf dem Bahnhofsvorplatz vor Augen, erkenne ich seine Idee. Das Buch eines bedeutenden Pädagogen des 17. Jahrhunderts hatte Tibor in der Bibliothek meines Urgroßvaters gefunden und auf den Speicher getragen. Es war ein Reisebericht, der den Weg durch ein Labyrinth beschrieb. Der Autor, Comenius, hat selbst ein Bild von diesem Labyrinth gezeichnet, eingebettet in einen Kreis. Es ist die Stadt, stellvertretend für alle Städte der Menschheit. Das Buch heißt: Das Labyrinth der Welt und das Paradies des Herzens.
       Die Stazione Termini ist ein allegorisches Labyrinth, sagt die Karte.
       Die Linie 64, in die ich steige, fährt direkt vom Bahnhof zu den Armen St. Pietros, die sich schützend um die Gläubigen legen oder nach ihnen greifen, je nachdem. Der Busfahrer, jede Wette ein Ferrarista, abrupte Schlenker, geschmeidiges Ausfahren von Kurven, Schockbremsungen, er hat die Hand oft auf der Hupe und ist der einzige, der nicht schwitzt, obwohl er’s eilig hat. Er tobt wie Ben Hur durch die römische Arena, diesen Bus muß man wirklich erwischen, er wartet nicht, man springt fast im Fahren auf, ältere Frauen mit Kopftuch und Sonnenbrille und Stock, die Hüter des nachmittäglichen Schlendrians, schieben den Kopf vor und schlenkern behende auf den Bus zu, manche Männer mit tadellosen Sakkos über den Schultern werfen im Rückspiegel mit gespieltem Zorn die Hände in die Luft. Vorbei an der Banca d’Italia, am Pantheon, der Chiesa Nuova.
       Ich setze mich auf eine der Bänke vor den Kolonnaden des Bernini, Touristen bevölkern den Platz, ein weiteres Menschenlabyrinth, von Armen umfangen, aber die Geschäftigkeit hier hat die verhaltene Muße der Kirche, die Steifheit der Religion. Nonnen, die in Weiß und Erdtöne gekleidet sind. Jeder trägt Taschen von diesem Ort fort. Eine Plastiktüte für Souvenirs, Kreuze, Andachtsbildchen, Postkarten, Broschüren, billig zusammengeleimt, während die Stadt mit Ewigkeit prahlt, erfüllen sie ihren flüchtigen Zweck.
       Ich kaufe einen japanischen Vatikanbildband, der wenig später auseinanderfallen wird, das Kreuz trifft auf Sony, und jeder, den ich ansehe, hat diese inspirierte Munterkeit in den Augen.
       Mit der Tüte in der Hand mische ich mich unter die passende Reisegruppe, lächle verbindlich, werde von zahllosen Kameras erfaßt, bin Teil der heiligen Aura um das Schloß des Papstes, fromme Menschen, Pilger und Touristen werden mein Bild mit sich nach Hause tragen, zerstreut werde ich sein in alle Winde.
      

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