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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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»Schau mal, Yumiko, das ist Tenji, und das ist Shoguio neben unserer Gajin-Reiseführerin, und da dieser verrückte Tourist, der immer nur gegrinst hat, ja die Europäer, unter diesen frommen Menschen gibt es viele Geisteskranke, so prächtig und so alt diese Gebäude, und keine Erlösung.«
       Ich betrachte die braunen Zehen in der Sandale einer Ordensschwester mit Christusmonogramm und einer Brille, für die man bei uns Krankenkassen verklagen würde. Sie hat völlig ebenmäßige Züge, hält einen Rosenkranz in der Hand. Ältere Nonnen stehen mit verkniffenen Zügen um sie herum, wachsame Pinguine, sie schnattern in eigenen Sprachen. Südasien, Nepal, Katmandu, christliche Konvertitin tippe ich. Sie trägt ebenso viele Rätsel mit sich wie diese Stadt, dunkel und süß, frische Gemahlin des Glaubens, ihre Leidenschaften eine stumme Verbindung zu einer Kraft, die aus ihren Augen lodert, in ihren Blutgefäßen zirkuliert eine Kraft, die ich und Millionen andere nicht kennen, nicht begreifen.
       Konnichiwa, grüße ich, kurz bevor die Pinguine die schmale Schneise zu ihrem Gesicht schließen, sie führt blitzschnell ihre zarte Faust vor die Lippen, kichert, ihre Augen sind auf den Boden gerichtet.
       Auf einmal wenden sich alle um, wie auf Befehl, ich sehe ihnen lange nach. Eine feierliche Prozession, grau, die Sonne ein durchscheinendes Lichtband am Ende der Geraden, die Via della Conciliazione, eine überbreite Straße mit nur wenig Verkehr, Gottes Weg zum Schloß seines Statthalters, gerade Schwellen und Steine in nüchterner Geometrie, hier herrscht der rechte Winkel, damit sich niemand verläuft, auch die Nonnen entfernen sich zielstrebig mit ihren Plastiktüten, meine Konvertitin riskiert keinen Blick zurück.
       Ich drehe mich wieder um, der Obelisk auf der Mitte des Platzes, unter Nero Zeuge der Christenmorde im Zentrum des Zirkus, will noch immer den Himmel aufspießen, erinnert summarisch an den Übermut der weltlichen Fürsten und macht auf allen Bildern, nur nicht auf T. L.s Postkarte vom Dom, eine gute Figur . . .
      
       Ich fragte mich notgedrungen, ob der Baumeister ein religiöser Mensch war und in welcher Form, etwa ein Kirchgänger oder nur jemand, der gelegentlich, in den schwachen Momenten, selbst ich habe das schon getan, den Blick zu den Sternen richtet, dorthin, wo Transzendenz nichts Ungewöhnliches ist.
       Warum sonst diese Karte, dieses Motiv, drängte es ihn etwa in den Untergrund dieser Stadt, die in Schichten gewachsen war, Epoche auf Epoche errichtet, die deswegen so vieles unter der Erde verbarg, Katakomben, Mithräen, Hypogäen, ein lichtfernes Reich, das keinem Plan folgte? Tausende Kilometer unterirdischer Gänge, viele von ihnen unerforscht, nicht alle möglichen Irrwege waren gesichert und versperrt, Touristen warnte man, abseits der Führungen nach Ablenkung zu suchen. Ob sich T. L. daran gehalten hatte? Wer hätte besser als er gewußt, mit welcher Macht der Weg lockt, der ins Ungewisse führt und die Möglichkeit bietet, für immer zu verschwinden. Warum nicht nach endlosem Marsch, das Licht will erlöschen, man spürt den Durst und den Hunger, sich einfach in eine der kargen Wandöffnungen legen, zu den Gebeinen eines namenlosen Toten, und so mit der Unsterblichkeit der Stadt verschmelzen und doch zu Staub werden.
       Warum denn sonst der Tod, warum ein Grabmal?, fragte ich mich im Inneren des Domes, die Vorlage im Blick, den Sarkophag, die Statue des Papstes. Der Tod, ein geflügeltes Gerippe, das die Grabinschrift schreibt, darüber der Kirchenfürst in reichem Ornat mit weiter Schöpfergebärde, Urban VIII., dunkle Bronze, teilweise vergoldet. Mir ist der Tod, auch wenn ihn begnadete Plastik ziert, unangenehm.
       »Ein Grab ist nur ein Grab, nicht wahr?« hörte ich eine vertraute Stimme hinter mir sagen. Mahgourian trat neben mich und sah hochzufrieden aus.
       »Und doch ist es ungewöhnlich. Lorenzo Bernini hat mit Unterbrechungen fast zwanzig Jahre am Grabmal seines Freundes gearbeitet. Er hat den Charakter der Grabskulptur völlig verändert. Es ist keine unbewegte Plastik mehr, sondern ein belebtes Bild. Urban VIII. war ein Gönner für Bernini, wie ihr Urgroßvater und der unglückliche Schwartz es für den Baumeister waren.«
       Ich drehte die Karte um und las laut:
       »Die Ruinen des einen braucht die allzeit wirksame Natur zu dem Leben des anderen – das klingt nach Größenwahn.«
       »Oder nach einer nüchternen

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