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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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steilen Hang gestanden haben, für einen Augenblick wenigstens, jeder Gefahr spottend.
       Statt die komfortable Straßenroute zu befahren, marschieren wir also durch duftenden Mischwald aufwärts, über Zyklamenteppiche und Ruscusmatten, bis wir nach fast drei Stunden an einer verwitterten Mauer stehen – sie ist etwa brusthoch – und Bildkongruenz mit der Fotografie hergestellt ist.
       Nichts will sich aufschließen, Tausende Touristen werden hier gar nicht todesmutig ihre Aufnahmen gemacht haben.
       Der saugende Abgrund, den man doch nur seiner Schönheit wegen nicht verdächtigt. Der blaue Spiegel des Sees, die sanfte Bukolik der umrahmenden Vegetation, Beschaulichkeit herrscht im Paradies.
       Wir wandern jetzt durch fast leere Straßen. Nur noch wenige Touristen trotzen den schwarzen Gewitterwolken, die sich seit kurzem schadenfroh am Himmel ballen. Zwei Busse verschwinden in lehmfarbenen Staubwolken, ein einsamer Taxista gähnt ein leise quietschendes Postkartenkarussell an. Mahgourian taumelt manchmal, Zack und ich stehen bereit, um ihn zu stützen.
       In einer kleinen Alimentaria bewegt sich die Hand der Frau hinter dem Tresen durch ein großes Weckglas, in dem bleiche Käseklumpen schwimmen. Sie trägt einen weißen Krankenschwesternkittel. Wir warten geduldig, obwohl wir hungrig sind. Was Laura essen möchte? Aber sie antwortet nicht. Sie ist verschwunden. Mahgourian dreht sich schwitzend um. Man erkennt deutlich, daß seine zu große Blutdruckamplitude, die im weniger elastischen Gefäßsystem des älteren Menschen ohnehin leicht zu Infarkten führen kann, gefährlich wachsen will.
       »Schnell, schnell«, japst er, als wäre es völlig ausgeschlossen, daß Laura draußen, nur ein paar Meter entfernt, wie immer Halsketten sucht – oder eine eigene Postkarte. Der Professor und ich laufen um Häuserecken, Zack hat sein Comicjackett fortgeworfen, und dann, als die perspektivische Gerade, die zum Aufnahmeort der dritten Karte führt, vor unseren Augen liegt, sind wir Zeuge eines Wunders, denn dort ist Laura, und sie steht nicht etwa vor der Mauer, die den 426 Meter tiefen Sturz in den Abgrund des Vulkans verhindern soll, sondern schon dahinter. Mit offenem Mund bleibe ich etwa zehn Meter entfernt stehen, diese unselige Neigung zur Apathie, die in der Vergangenheit nur mein eigenes Leben gefährdet hat, jetzt bedroht sie Laura. Ich zittere, während meine Lippen Ovale verschiedener Größe formen. Zack, der fälschlicherweise annimmt, ich könnte einen Ton herausbringen, tippt mich an und verschließt dann seinen Mund mit dem Zeigefinger. Er schleicht langsam vorwärts. Laura, die wieder hinab in ein Wasser schaut, das die Verfolgung nicht aufgibt, hat ihre Hände flach auf die Mauerkrone in ihrem Rücken gelegt, die Arme im rechten Winkel zum Rumpf, als hinge sie am Kreuz. Sie ist unruhig, ich sehe ihn vor mir, den schmalen Streifen bröckelnden Gesteins, auf dem sie steht, nur noch von Flechten an der Mauer gehalten. In diesem Augenblick ist sie nicht bereit, den Dämonen zu widerstehen. Kein Gesang ist zu hören, nicht ein einziger Ton. Knirschende Schritte nähern sich unregelmäßig, dann höre ich den dumpfen Schrei hinter mir, erstickt, nörgelnd, widerwillig oder nur von aller Kraft verlassen, Mahgourian, der nicht wieder Zeuge eines freiwilligen Abschieds werden will.
       Laura in ihrem weißen Kleid, sie wendet den Kopf und verliert den Halt . . .
       Zacharias, wer sonst, ist es, dessen Hand im letzten Sekundenbruchteil zupackt, den Sturz verhindert. Sie hängt schlaff wie eine Puppe in seinen Armen. Ihr Kleid reißt an der Mauer, und ihre Augen sind verdreht, starr fixiert in einem Winkel, der nicht natürlich ist. Mahgourian stößt mich an, als er an mir vorbeihastet. Zack hat sie jetzt auf seine Schenkel gesetzt, fest an den Oberarmen gepackt, ihr Kopf pendelt hin und her. Die Miene des Professors wirkt böse, sogar brutal, er verkneift sich seinen Zorn. Ich kann den Kommentar lesen, zu dieser Reise, zu Mahgourian, zu mir, zu seiner eigenen Rolle. Der Alte dreht sich um, sein Zeigefinger sticht jetzt nach mir, und ich erkenne deutlich, er möchte sich am liebsten auf mich stürzen, zuschlagen, nicht weil ich das gewohnt bin, sondern weil er sich ähnlich hilflos fühlt wie der Professor.
       »Sie – Sie«, brüllt er, schnappatmend, »Sie lassen sie von jetzt an keine Sekunde mehr aus den Augen!«
       Er sagt das nicht so, als hätte er versagt und würde eine

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