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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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würde sie darüber rätseln, woher sie uns kennen könnte.
       Schließlich rief der Alte ein Taxi. Zacks gute Laune schien auf der holprigen Fahrt stadtauswärts noch zuzunehmen. Er amüsierte sich über den Fahrer, der an jeder Ampel abgehackte Selbstgespräche führte, über zerbeulte Autos neben uns, über korpulente Melonenverkäufer und eine kläffende Formation halb skelettierter Hunde, die wie hypnotisiert einem Müllsammler folgten. »Schaut euch das an, schaut euch das an!« brüllte er vor Lachen und zeigte mit dem Finger aus dem Fenster. Mahgourian hatte seine Jacke im Hotel vergessen und war merkwürdig ruhig geworden. Ein paar Sekunden lang strich ich mit dem Finger über Lauras Hand, aber sie schien es nicht einmal zu bemerken. Der Gedanke, sie werde in ihrer jetzigen Verfassung und in diesem Leichentuchkostüm durch einen unterirdischen Friedhof spazieren, behagte mir nicht. Mahgourian, daran zweifelte ich nicht, war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, Laura so schnell wie möglich in professionelle Obhut zu geben, und der Hoffnung, daß sie sich auf unserer Reise von ihren Problemen lösen könnte. Das war das, was er wohl jedem von uns wünschte, wenn er seine Geschichten erzählte, wenn er darüber nachdachte, weshalb vier so unterschiedliche Menschen sich zu dieser Reise entschließen hatten können.
       »Wenn T. L. jemals in Rom gewesen ist, dann war er da unten. Jemanden wie ihn haben Orte wie diese magisch angezogen. Sie sind über Jahrhunderte zu etwas geworden, was seinen Labyrinthen sehr ähnlich ist. Es sind Irrgänge, gewachsen wie Termitenhügel.«
       Obwohl es schon spät war, wartete immer noch eine bunte Schlange von Touristen am Kassenhäuschen vor dem Eingang der Callisto-Katakombe.
       »Ich würde es vorziehen, alleine dort unten zu sein«, sagte ich leise zu Mahgourian.
       »Es macht keinen Unterschied. Dort unten warten keine Überraschungen. Die Anlagen sind beleuchtet, unerschlossene Gänge versperrt. Das war früher einmal anders. Schreckensgeschichten von Menschen, die hier unten verlorengegangen und niemals wiedergefunden worden sind, wurden erzählt. Das war werbewirksam. Heute verzichtet man auf diesen Firlefanz.«
       Wir blieben etwas abseits der Gruppe, gelegentlich drangen neben dem Gewisper der leiser werdenden Stimmen ein paar Fetzen Englisch aus dem Vortrag des jungen Mannes an unser Ohr, der die Führung leitete. Er berichtete über das Leben der frühen Päpste, die in prächtigen Grabkammern begraben lagen, er erzählte von den Handwerkern, den Fossores, die Meter um Meter über mehrere Stockwerke tiefe Gänge in das vulkanische Gestein getrieben haben. Er referierte die Inschriften auf den Grabmälern der Reichen und auf den Grabverschlüssen der weniger Privilegierten, erklärte Zeichen und Symbole und in den Tuffstein gekratzte Botschaften von Besuchern aus der Frühzeit dieses Friedhofes. Zack ließ die Arme hängen und hatte seine Hände feierlich auf Beckenhöhe gefaltet. Er sagte keinen Ton mehr. Laura hatte sich wortlos bei Mahgourian eingehakt, eine Geste, die von einen Moment auf den anderen seinen Redefluß anregte.
       »Gibt es eine eigenartigere Begegnung mit den Toten? Ich meine, im Vergleich mit derjenigen auf einem gewöhnlichen Friedhof. Hier unten treten wir in ihre Welt ein. Die vielen verschiedenen Formen der Wandgräber und Grabkammern, die Kapellen mit ihren Kuppeln und Kreuzgewölben, all die Marmorverzierungen und Wandmalereien und Mosaike – das sind die Konturen einer Stadt. Allein diese Katakombe, ein Gebiet von dreißig Hektar mit einem Gangsystem von zwanzig Kilometern Länge. Mehr als eine halbe Million Gebeine, man kann sich dem nicht entziehen, wie einem Gräberfeld unter freiem Himmel. Es ist die Unterwelt, ihre Welt, und sie sprechen mit uns über all die Tafeln und Inschriften. Die Reihe der Steine auf einem Friedhof ist nur ein Leichenregister.«
       Die unterirdische Welt der Toten. Als wir sie verlassen hatten, drehte ich gierig den Blick in Richtung der letzten Sonnenstrahlen, die über flache Dächer und brüchiges Mauerwerk strichen. Wie konnte die Idee entstehen, das Innere von Gebäuden, in denen Menschen leben sollten, mit klaustrophobischen Labyrinthen zu füllen? Bildete man die Natur ab, indem man ein Wohnhaus, eine Kirche oder ein Hotel mit einer beklemmenden Konstruktion füllte?
       »Wie ist es ihm wohl damals ergangen«, unterbrach Mahgourian das Schweigen in einer jetzt

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