Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
Vom Netzwerk:
Routineangelegenheit, keiner der Beteiligten stand unter Mitteln (ausgenommen Lauras Vater, jener Fotograf, der im Auto auf dem Parkplatz wartete, weil ihm schon der bloße Geruch eines Krankenhauses Übelkeit verursachte, zwischen seinen Beinen klemmte eine Flasche Old Harper, nach jedem Schluck warf er eine Pfefferminzpastille ein). Die Komplikation war eigentlich gar keine, keine Beckenlage, keine Kompression der Nabelschnur, nichts Herkömmliches. Die Schwangere hatte schon ein paar Wochen vor dem Termin über Kopfschmerzen, Schwindel und gelegentliche Unruhe geklagt.
       Da aber die Befindlichkeit des Mädchens, seitdem sie von ihrer Schwangerschaft durch den Hausarzt Dr. Mathews erfahren hatte, ohnehin sämtliche Stadien hormoneller Turbulenzen mit ihren üblichen Erscheinungen, wie Morgenübelkeit, Erbrechen, abnormen Eßgelüsten, Schwindel, Verstopfungen, Blähungen und nervöser Reizbarkeit, durchlaufen hatte, und auch Kopfschmerzen sich bereits im dritten Monat gelegentlich eingestellt hatten, maß Dr. Mathews, als Privatmann ebenfalls Verehrer von Old Harper, diesen Symptomen keine weitere Bedeutung bei.
       »Auf hunderttausend Neugeborene kommen weltweit etwa vierhundertdreißig Mütter, die bei der Entbindung sterben. Wenn man die Entwicklungsländer außer acht läßt, sind es nur siebenundzwanzig, in den USA allein nur noch acht tote Mütter. Aber daran stirbt nicht mal eine von ihnen.«
       Während der Geburtsvorbereitungen erlitt Lauras Mutter eine Art epileptischen Anfall. Einen Krampfanfall, der vorwiegend bei jungen Erstgebärenden auftritt. Insbesondere bei solchen, die schon vorher unter zu hohem Blutdruck litten. Die Patientin wurde auf die Intensivstation verlegt. Dort gab man ihr Sauerstoff und versuchte den Anfall mit Magnesiumsulfat und Diazepam in den Griff zu bekommen. Als die Krämpfe unterbrochen waren und sich ihr Zustand stabilisierte, leitete man die Geburt des Kindes per Kaiserschnitt ein. Währenddessen fiel Lauras Mutter ins Koma. Der Atemstillstand trat ein, als das Neugeborene bereits abgenabelt war. Die junge Mutter starb kurze Zeit später an einer Hirnblutung.
       Die Tochter lag eingerollt neben mir, wollte Berührungen jetzt nicht zulassen.
       »Natürlich gibt es da einen Zusammenhang. Eine Eklampsie erhöht die Rate der Müttersterblichkeit um zwei Prozent. Die der Neugeborenen um zwanzig Prozent. Eigentlich hätte es mich erwischen müssen. Sie war zweiundzwanzig und noch mitten im Studium. Hätte sie auf mich verzichtet, wäre ein paar Jahre später wahrscheinlich alles glattgegangen. Aber zu diesem Zeitpunkt war die Schwangerschaft ihr Todesurteil.«
       Laura drehte sich zu mir um. Mit ihren geröteten Augen sah sie mich prüfend an.
       »Mein Vater und Old Harper wurden danach unzertrennlich.«
       Ich schlug schuldbewußt den Blick nieder.
       »Ich hatte viele Mütter. Mein Vater war ein gutaussehender Kerl. Gott sei Dank kein Student. Aber auch nicht der Ostküsten-Naturbursche im Holzfällerhemd, der unter jedem Arm einen Hummer trägt und stolz ist auf die Anzahl der Leuchttürme seiner Küste. Er arbeitete als Schreiner in einer Möbeltischlerei, und das Komplizierteste, was ihm jemals zugestoßen war, ist meine Mutter gewesen.«
       Laura hatte ihre Tränen getrocknet und unbeirrt das Stadium des Erzählens erreicht, in dem das Erlebte zur Fabel wird, die persönliche Katastrophe zu einem Gespenst verblaßt, das einem nichts mehr anhaben kann. Sie erzählte nicht mir, durch den sie hindurchsah, sondern der ganzen Welt. Sie kehrte den Mechanismus jener Abende um, an denen wir die Zuhörer Mahgourians gewesen waren, der die Fabel zu einem Erlebnis werden ließ, dem wir uns nicht entziehen konnten.
       »Die ersten drei Jahre lebte ich hauptsächlich bei seiner Mutter. Ich weiß nur, daß er jedesmal heulte, wenn er mich sah. Als ich vier Jahre alt wurde, starb die alte Dame, und es wäre wahrscheinlich besser gewesen, wenn er mich gleich der staatlichen Fürsorge übergeben hätte. Ich wurde zwischen Freundinnen von ihm und denen seiner Mutter herumgereicht. Es war abwechslungsreich. Die kleine Laura hat die Stadt kennengelernt. Ich habe in einer Wohngemeinschaft über einem Delikatessenladen in der Cumberland Avenue gewohnt, ein anderes Mal in einem Hinterraum der Leihbücherei in der Forestreet. Unter dem Glockengebimmel der Fisch- und Hummerhändler draußen auf der Straße. Die letzte seiner Freundinnen, bei der ich gewohnt habe,

Weitere Kostenlose Bücher